Entscheidungsstichwort (Thema)

Analoge Anwendung des § 769 ZPO bei Vollstreckungsgegenklage wegen nachträglicher Einwendungen gegen erstinstanzlichen Titel. Vollstreckungsschutz nach Urteil. Anforderungen an Vollstreckungsschutz bei Vollstreckungsgegenklage wegen nachträglicher Einwendungen. Kein Nachweis eines unabwendbaren Nachteils bei einstweiliger Einstellung der Zwangsvollstreckung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Schuldner aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil kann bei Erhebung der Vollstreckungsgegenklage wegen nachträglicher Einwendungen gemäß §§ 767 Abs. 2 ZPO, 769 ZPO die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung verlangen, ohne einen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG darlegen und glaubhaft machen zu müssen.

2. Es ist widersprüchlich und durch sachliche Gründe nicht zu rechtfertigen, höhere Anforderungen an den Vollstreckungsschutz wegen nachträglich entstandener Einwendungen gegen einen Titel zu stellen, wenn zusätzlich anfängliche Einwendungen gegen den Titel im Wege eines Rechtsmittels erhoben werden. Insoweit ist § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG einschränkend auszulegen und § 769 ZPO entsprechend anzuwenden (Festhalten an LAG Düsseldorf 31.08.2020 - 4 Sa 480/20).

 

Normenkette

ArbGG § 62 Abs. 1 Sätze 2-3; ZPO § 719 Abs. 1 S. 1, § 707 Abs. 1, § 769 Abs. 1, § 767 Abs. 2; ArbGG § 62 Abs. 1 S. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Duisburg (Entscheidung vom 15.12.2021; Aktenzeichen 4 Ca 838/21)

 

Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 15.12.2021 - 4 Ca 838/21 - wird hinsichtlich der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung als Abteilungsleiterin Rechnungswesen gemäß Ziffer 2. des Urteilstenors einstweilen eingestellt.

 

Gründe

I. Die Beklagte begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem gegen sie gerichteten erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel.

Die 1960 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.09.1992 als Abteilungsleiterin Rechnungswesen zu einem Bruttojahresentgelt von ca. 7.840,50 € beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zur Klägerin außerordentlich mit Schreiben vom 18.06.2021 wegen Nichtanzeige einer Nebentätigkeit und mit Schreiben vom 07.09.2021 wegen Ausbuchung eines tatsächlich nicht gezahlten Betrages.

Auf die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht mit nicht rechtskräftigem Teilurteil vom 27.10.2021 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 18.06.2021 nicht aufgelöst worden ist. Mit Schlussurteil vom 15.12.2021 hat es ebenso über die Kündigung vom 07.09.2021 entschieden und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die Klägerin als Abteilungsleiterin Rechnungswesen weiterzubeschäftigen. Gegen beide Urteile hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt.

Mit Schreiben vom 29.11.2021, 01.12.2021, 07.12.2021 und 22.12.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zur Klägerin erneut jeweils außerordentlich. Gegen sämtliche Kündigungen wehrt sich die Klägerin derzeit erstinstanzlich mit der Kündigungsschutzklage (Arbeitsgericht Duisburg 4 Ca 1540/21).

Die Klägerin hat mit Anwaltsschreiben vom 04.01.2022 ihre Weiterbeschäftigung verlangt und Vollstreckung aus dem Schlussurteil angekündigt.

Mit ihrem am 14.01.2022 zugleich mit Einlegung der Berufung beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt die Beklagte die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel des Schlussurteils. Sie macht geltend, dass der Beschäftigungsanspruch nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts wegen der erneuten zwischenzeitlichen Kündigungen vom 29.11.2021, 01.12.2021, 07.12.2021 und 22.12.2021 mit sofortiger Wirkung materiell-rechtlich entfallen sei. Die Kündigung vom 22.12.2021 würde auf verleumderische Behauptungen der Klägerin über die Geschäftsführerin der Beklagten gestützt.

Die Klägerin hält den Antrag für unbegründet. Die Folgekündigungen stünden der Vollstreckung des Weiterbeschäftigungstitels grundsätzlich nicht entgegen. Über sie sei noch nicht rechtskräftig entschieden. Die Beklagte müsse für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG darlegen, dass sie aus der vorläufigen Vollstreckung des Weiterbeschäftigungstitels einen nicht zu ersetzenden Nachteil erleide. Dies sei nicht geschehen.

II. Über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel des Arbeitsgerichts war durch den Vorsitzenden des Berufungsgerichts als dem Prozessgericht (§ 62 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 707 Abs. 1, 719 Abs. 1 ZPO) allein zu entscheiden, §§ 64 Abs. 7, 55 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG.

Die Vollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs aus dem Urteil des Arbeitsgerichts war in entsprechender Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO einzustellen.

1. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist mit Blick auf die vom Kläger betriebene Zwangsvollstreckung zulässig. Dem Antrag steht auch nicht...

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