Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang einer Gesamtbetriebsvereinbarung über Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall. Abgrenzung der Zuständigkeiten von Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat im Falle einer vom Arbeitgeber beabsichtigten unternehmenseinheitlichen Vorlagepflicht von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zur Regelung der Nachweispflichten nicht leitender Angestellter im Krankheitsfall steht dem Betriebsrat und nicht dem Gesamtbetriebsrat zu.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1; EFZG § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 05.09.2013; Aktenzeichen 4 BV 5/13)

 

Tenor

  1. Auf die Beschwerde des Betriebsrats (Beteiligter zu 2)) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 05.09.2013 - Az. 4 BV 5/13 - abgeändert.

    Die Anträge der Arbeitgeberin (Antragstellerin) werden zurückgewiesen.

    Auf den Widerantrag des Betriebsrats (Beteiligten zu 2) wird festgestellt, dass der Beteiligte zu 2) ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Regelungsthematik "Nachweispflicht im Krankheitsfall der im Betrieb E. beschäftigten Arbeitnehmer, die keine leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG sind" hat.

  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Geltung von Regelungen einer Gesamtbetriebsvereinbarung über Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall.

Die Antragstellerin und Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) ist ein Unternehmen der Paketlogistikbranche mit 72 Betrieben im Bundesgebiet, in denen etwa 15.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Beteiligter zu 2) ist der für den Betrieb E. gewählte 11 köpfige Betriebsrat. An diesem Standort unterhält die Arbeitgeberin eine Hauptumschlagbasis sowie ein "Center" für die Lokale Abholung und Zustellung von Paketen. Beteiligter zu 3) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Gesamtbetriebsrat, dem Delegierte der 22 örtlichen Betriebsräte angehören. Diese repräsentieren 75% aller Arbeitnehmer der Arbeitgeberin.

Mit dem Gesamtbetriebsrat schloss die Arbeitgeberin unter dem 22.01.2008 eine "Gesamtbetriebsvereinbarung über eine Allgemeine Arbeitsordnung" (im Folgenden GBV 1, Blatt 25 ff. der Akte). Diese enthielt in Ziffer 9 Abs. 3 eine Bestimmung, wonach jeder erkrankte Mitarbeiter ab dem ersten Krankheitstag grundsätzlich eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen hat. Am 13.02.2013 beschloss die Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat eine Neufassung des § 9 der GBV 1, ohne dabei etwas an der grundsätzlichen Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 1. Krankheitstag etwas zu ändern (vgl. Anlage Nr. 1 zum Schriftsatz des Gesamtbetriebsrats vom 25.02.2013, Blatt 92 der Akte). Am 07.03.2013 einigten sich Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeberin auf eine nochmalige inhaltliche Modifizierung des Absatzes 3 der Vorschrift, ohne etwas an der Überschrift "Vorlage GBR / Wortlaut Beschlussfassung 13.02.2013" zu ändern (vgl. Blatt 102 der Akte). Auf seiner Sitzung am 11.06.2013 stimmte der Gesamtbetriebsrat (erneut) der Neufassung des § 9 zu; wegen des Ablaufs der Beschlussfassung wird auf Blatt 3 des Sitzungsprotokolls vom 11.06.2013 (Blatt 302 der Akte) Bezug genommen. Unter dem 19.06.2013 wurde sodann die geänderte Neufassung der "Gesamtbetriebsvereinbarung über eine Allgemeine Arbeitsordnung" (im Folgenden GBV 2) unterzeichnet.

Zwischen den Beteiligten bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob der Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG für die Regelung von Vorlagepflichten von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zuständig ist. Der Betriebsrat reklamierte ungeachtet des Bestehens der GBV 1 insoweit ein eigenes Mitbestimmungsrecht. Die von ihm angerufene Einigungsstelle einigte sich darauf, die Anwendung von § 9 Abs. 3 GBV 1 im Betrieb E. gerichtlich klären zu lassen; sie wurde daraufhin mit Beschluss vom 17.01.2013 ergebnislos für erledigt erklärt. Jedenfalls für den Betrieb Flughafen L.-C. /U.-T. galt zwischen 2001 und 2013 eine örtliche Betriebsvereinbarung, durch die die Nachweispflichten im Krankheitsfall anders als in der GBV 1 geregelt waren; daran hielt sich die Arbeitgeberin auch.

Die Arbeitgeberin hat am 28.01.2013 das vorliegende arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren eingeleitet. Sie hat die Auffassung vertreten, der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluss der GBV in ihrer jeweiligen Fassung auch im Hinblick auf die § 9 Abs. 3, 4 enthaltenen Regelungen der Nachweispflichten im Krankheitsfall zuständig gewesen. Die Zuständigkeit ergebe sich nach den Grundsätzen der "subjektiven Unmöglichkeit". Es liege ein klassischer Fall der Teilmitbestimmtheit der Regelungsmaterie vor, weil die Arbeitgeberin - wie § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG zeige - frei in der Entscheidung sei, ob im Unternehmen überhaupt von der geset...

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