Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung hinsichtlich eines Teilnahmerechts des Betriebsrats an Personalgesprächen über disziplinarische Maßnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Betriebsvereinbarung, die eine Verpflichtung des Arbeitgebers festschreibt, den Betriebsrat zu Personalgesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen gegenüber einzelnen Mitarbeitern zum Gegenstand haben, ist wirksam, wenn der betroffene Mitarbeiter die Gesprächsteilnahme des Betriebsrats ablehnen kann.

 

Normenkette

BetrVG § 75 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 16.06.2016; Aktenzeichen 2 BV 9/16)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 11.12.2018; Aktenzeichen 1 ABR 12/17)

 

Tenor

  1. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 16.06.2016 - Az. 2 BV 9/16 - abgeändert.

    Dem Arbeitgeber wird aufzugeben, den Betriebsrat entsprechend § 4 Ziffer 1 der Betriebsvereinbarung zu Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung zu Gesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.

  2. Die Rechtsbeschwerde zugunsten des Arbeitgebers wird zugelassen.
 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der antragstellende Betriebsrat zu allen Personalgesprächen einzuladen ist, die disziplinarische Maßnahmen von Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.

Beim zu 2) beteiligten Arbeitgeber handelt es sich um ein Berufsförderungswerk mit etwa 300 Mitarbeitern. Er schloss mit dem Betriebsrat unter dem 01.08.2002 eine "Rahmenbetriebsvereinbarung zur Unternehmens,- Organisations- und Personalentwicklung" (im Folgenden RBV). Deren § 4 Ziffer 4.1. lautet:

"Zu Gesprächen, die im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens- Organisations- und Personalentwicklung zwischen Geschäftsleitung, Abteilungsleitung und den Arbeitnehmern stattfinden, in denen es sich um disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen handelt, wird der Betriebsrat gleichzeitig zu Gesprächen eingeladen.

Unter disziplinarischen Maßnahmen verstehen wir:

-Ermahnungen

-Abmahnungen

-Verwarnungen

-Kündigungsbegehren

-Versetzung

Der Mitarbeiter kann arbeitsrechtlich so entscheiden, dass er dieses Gespräch ohne Beteiligung eines Betriebsratsmitgliedes führen möchte.

Bei Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Einladung des Betriebsrates und des Arbeitnehmers hat das Gespräch keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen."

Wegen der weiteren Einzelheiten der Rahmenbetriebsvereinbarung wird auf Blatt 5 ff. der Akte Bezug genommen. In einer "Verfahrensregelung zur Einhaltung des § 4.1 der RBV ..." vom 12.12.2002 heißt es weiter:

"Bei MitarbeiterInnengesprächen entsprechend dem § 4.1 o.g. Rahmenbetriebsvereinbarung erfolgte die Einladung der Betroffenen und des Betriebsrates vereinbarungsgemäß gleichzeitig.

Der Betriebsrat informiert die Betroffenen über ihr Recht auf Gesprächsführung ohne Beteiligung des Betriebsrates.

Wenn die Betroffenen die Nichtbeteiligung des Betriebsrates ausdrücklich wünschen, erklären diese ihren Willen durch Unterzeichnung eines entsprechenden Vordrucks.

Eine Zweitschrift der Erklärung verbleibt beim Betriebsrat.

Die Originalerklärung händigen die Betroffenen dem Arbeitgebervertreter zu Beginn des Gesprächstermins aus."

Seit diesem Zeitpunkt verfuhren die Beteiligten bei jährlich etwa 20 Mitarbeitergesprächen nach diesen Vorgaben. Inhalt und Anlass des bevorstehenden Gesprächs teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat nicht mit. In Einzelfällen lehnten Arbeitnehmer die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Gespräch ab. Beschwerden über das praktizierte Verfahren aus Kreisen der Belegschaft gab es nicht.

Mit Schreiben vom 21.10.2015 teilte der Arbeitgeber mit, § 4 Ziffer 4.1 RBV verstoße gegen das verfassungsrechtlich zugesicherte Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Es stehe allein diesen zu, über die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu entscheiden, ein Automatismus der Einladung durch den Arbeitgeber sei rechtswidrig. Dementsprechend unterließ der Arbeitgeber ab diesem Zeitpunkt weitere Einladungen des Betriebsrats zu Personalgesprächen und informierte ihn über deren Durchführung und Ergebnis nicht. Den betroffenen Arbeitnehmern teilt er allerdings mit, dass diese nach Wunsch ein Mitglied des Betriebsrats zum anstehenden Personalgespräch hinzuziehen können.

Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens hat der Betriebsrat die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Rückkehr zum bis 2015 praktizierten Vorgehen gefordert und sich zur Begründung auf einen Durchführungsanspruch aus § 77 Abs. 1 BetrVG berufen. Der Wirksamkeit der RBV stünden datenschutzrechtliche Aspekte nicht entgegen. § 4 Ziffer 4.1 RBV bezwecke, den Mitarbeitern in Personalgesprächen effektive Unterstützung durch den Betriebsrat zu gewähren, wenn sie ihn denn wollten. Betroffene Arbeitnehmer würden häufig ihre Rechte aus §§ 81, 82 BetrVG nicht kennen. Das seit 2002 gelebte Verfahren habe überdies den Vorteil, dass der Arbeitgeber gerade nicht erkenne, ob die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einem Personalgespräch auf ausdrückliche...

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