Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwebende Unwirksamkeit von Betriebsvereinbarungen bei fehlender zweiter Unterschrift. Stillschweigende Genehmigung schwebend unwirksamer Betriebsvereinbarungen. Möglichkeit der Genehmigung von schwebend unwirksamen Betriebsvereinbarungen auch Jahre später. Rückwirkung einer Genehmigung bei schwebender Unwirksamkeit. Vertrauen auf abgelöste Betriebsvereinbarungen. Dreistufige Prüfung bei Eingriff in Versorgungsanwartschaften von Gewerkschaftsmitgliedern. Prognose des Rückgangs von Mitgliederzahlen bei sachlichem Eingriff in dienstzeitabhängige Zuwächse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wurde eine Betriebsvereinbarung nur von einem Vorstandsmitglied unterzeichnet, obwohl es nach der Satzung der Arbeitgeberin - einer in Form eines nichtrechtsfähigen Vereins organisierten Gewerkschaft - zusätzlich der Unterschrift des Vorstandsvorsitzenden bedurft hätte, so ist sie zunächst schwebend unwirksam. Eine Genehmigung ist selbst nach einem Zeitablauf von neun Jahren möglich, sofern der Betriebsrat der Arbeitgeberin keine Frist gemäß § 177 Abs. 2 S.1 BGB gesetzt hat. Die Genehmigung kann auch stillschweigend durch satzungsgemäße Unterzeichnung einer die ursprüngliche Betriebsvereinbarung in Bezug nehmenden weiteren Betriebsvereinbarung erfolgen.

2. Die Genehmigung der zunächst schwebend unwirksamen Betriebsvereinbarung wirkt gemäß § 184 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt ihres Abschlusses zurück. Dies gilt auch für die durch Abschluss der Betriebsvereinbarung erfolgte Ablösung einer Unterstützungskassenversorgung, sofern die Arbeitnehmer nicht auf die Fortgeltung der ursprünglichen Unterstützungskassenrichtlinie vertrauen konnten. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann jedenfalls dann nicht entstehen, wenn die Ablösung der ursprünglichen Versorgungsrichtlinie sowohl durch ein an die Beschäftigten gerichtetes Rundschreiben als auch auf Betriebsversammlungen kundgetan wird. Auf die Kenntnis des einzelnen Arbeitnehmers kommt es dann nicht an.

3. Für eine Gewerkschaft, die als steuerbefreiter Berufsverband nicht mit Gewinnerzielung am Markt tätig ist, gilt das für Eingriffe in Versorgungsanwartschaften entwickelte dreistufige Prüfungsschema mit der Maßgabe, dass es auf der dritten Stufe lediglich sachlicher Gründe bedarf, ohne dass es auf die Proportionalität des Eingriffs ankommt (so bereits BAG v. 12.02.2013 - 3 AZR 414/12 -).. Da ein solcher Berufsverband im Wesentlichen auf die Beiträge seiner Mitglieder angewiesen ist, stellt es einen sachlichen Grund für einen Eingriff in noch nicht erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse dar, wenn zum Zeitpunkt der Ablösung einer Versorgungsordnung die Prognose gerechtfertigt ist, dass die Mitgliederzahlen zukünftig deutlich weiter sinken werden. Dies gilt selbst dann, wenn sich die damit verbundene Prognose eines Rückganges der Beitragseinnahmen bis zum Ablösungszeitpunkt noch nicht realisiert hatte.

 

Normenkette

BetrAVG § 1; BGB § 177 Abs. 1, § 184 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.11.2018; Aktenzeichen 14 Ca 2738/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.05.2022; Aktenzeichen 3 AZR 472/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.11.2018 - AZ: 14 Ca 2738/18 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, nach welcher Versorgungsordnung der Unterstützungskasse des DGB sich die Ansprüche des Klägers auf betriebliche Altersversorgung richten.

Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin, die Industriegewerkschaft D.-T.-V. (J. D.), ist als Gewerkschaft ein nichtgewerblich tätiges Dienstleistungsunternehmen. Der DGB wird durch Beiträge der Einzelgewerkschaften finanziert, die 12 % ihrer Mitgliedsbeiträge an den DGB abzuführen haben.

Bei der Unterstützungskasse des DGB handelt es sich um eine seit 1957 bestehende Gruppenunterstützungskasse für die Arbeitnehmer des DGB und der dort angeschlossenen Gewerkschaften. Die Versorgungsleistungen auf Basis von Gesamtversorgungszusagen wurden ursprünglich im Umlageverfahren finanziert, d.h. über die laufenden Zuwendungen der Trägerunternehmen. Für die Anwärter wurden keine Rücklagen gebildet, so dass deren Anwartschaften nicht vorfinanziert waren.

Die Unterstützungsrichtlinien 1980 beinhalteten eine Gesamtversorgung. Sie galten für Beschäftigte, die bis zum 31.12.1982 eingestellt wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf die als Anlage 17, Bl. 522 ff. d.A., überreichte Fassung vom 01.04.1988 (im Folgenden: UR 80/88) Bezug genommen. Zum 01.01.1983 traten die Unterstützungsrichtlinien 1983 (im Folgenden: UR 83) in Kraft. Sie galten für Beschäftigte, die seit dem 01.01.1983 eingestellt wurden. Auszugsweise heißt es dort:

"§ 4 Bemessungsentgelt

(1) Die versorgungsfähigen Teile des Arbeitsentgelts im Bemessungszeitraum bilden das Bemessungsentgelt. Die letzten 12 Kalendermonate vor Eintritt des Unterstützungsfalles bilden den Bemessungszeitraum. (…)

§ 5 Versorgungs...

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