Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersdiskriminierung durch Nichtberücksichtigung von Dienstzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres bei der Berechnung der Versorgung eines Dienstordnungsangestellten in Nordrhein-Westfalen
Leitsatz (amtlich)
Der Ausschluss der Berücksichtigung von Dienstzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres gemäß der anzuwendenden Dienstordnung i.V.m. den entsprechenden Vorschriften des Landesbeamtengesetzes Nordrhein-Westfalen für die Berechnung der Versorgung einer Dienstordnungsangestellten stellt eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters dar.
Normenkette
EUGRCh Art. 21; AEUV Art. 157 Protokoll Nr. 33; RL 2000/78/EG Art. 1; EURL 50/2014/50 Art. 4; AGG § 1; LBeamtVG NW § 6; BeamtVG Bund § 6; BayBeamtVG Art. 14; LBeamtVG BW § 21; LBeamtVG Berlin § 6; SHBeamtVG § 6; RVO § 351; TVG § 4; ZPO § 256; EUGrCh Art. 51; RL 2000/78/EG Art. 2, 6; AGG §§ 2-3, 6-7, 10; LBeamtVG NW §§ 10, 12, 50b; RVO §§ 352, 354, 358
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.07.2015; Aktenzeichen 3 Ca 7680/14) |
Nachgehend
Tenor
- Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 29.07.2015 - 3 Ca 7680/14 - abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte ab August 2013 bei der Festsetzung der monatlichen Versorgungsbezüge der Klägerin auch den Zeitraum vom 01.08.1971 bis 19.07.1973 zu Grunde zu legen hat.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beschäftigungszeiten der Klägerin bis zur Vollendung ihres 17. Lebensjahres für ihre Altersversorgung Berücksichtigung finden.
Die am 20.07.1956 geborene Klägerin, Mutter zweier am 14.04.1985 und am 03.10.1987 geborener Kinder, begann ihre Tätigkeit bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse F. am 01.08.1971 auf der Grundlage des Lehrvertrags vom 06.07.1971 als Verwaltungslehrling im Krankenkassendienst. Die Lehrzeit sollte ausweislich des Vertrags vom 01.08.1971 bis zum 31.07.1974 dauern. Am 12.03.1973 schlossen die Parteien einen Berufsausbildungsvertrag für die Zeit vom 01.01.1972 bis zum 31.07.1974. Die Ausbildung erfolgte als Sozialversicherungsfachangestellte in der Fachrichtung Krankenversicherung. Die bereits zurückgelegte Ausbildungszeit von fünf Monaten wurde angerechnet. Ausweislich § 1 Abs. 2 des Berufsausbildungsvertrags wurde die Klägerin mit Wirkung vom 01.01.1972 der Dienstordnung für die Angestellten der Allgemeinen Ortskrankenkasse F. unterstellt und in den allgemeinen Vorbereitungsdienst übernommen. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung wurde die Klägerin mit Arbeitsvertrag vom 26.08.1974 übernommen. Sie wurde gemäß § 1 des Arbeitsvertrags der Dienstordnung für die Angestellten der Allgemeinen Ortskrankenkasse F. unterstellt und in ein Anstellungsverhältnis vor Anstellung auf Lebenszeit (außerplanmäßiges Anstellungsverhältnis) mit der Besoldungsgruppe A 6 LBO NRW übernommen. Die Anstellung erfolgte gemäß § 2 des Dienstvertrags mit Wirkung vom 19.07.1974. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Verträge Bezug genommen. Die Allgemeine Ortskrankenkasse F. ging aufgrund der Verordnung über die Vereinigung der Ortskrankenkassen in Nordrhein-Westfalen zu zwei Ortskrankenkassen vom 19.10.1993 (GVBl. NRW S. 835) in der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland auf. Mit dem 13. Nachtrag zum Dienstvertrag wurde die Klägerin, inzwischen Dienstordnungs-Angestellte auf Lebenszeit, von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland befördert und ihr mit Wirkung vom 01.06.2001 die Planstelle einer Verwaltungsamtsinspektorin (Besoldungsgruppe A 9 BBesO) übertragen. Im Jahre 2006 fusionierten die Allgemeinen Ortskrankenkassen Rheinland und Hamburg zur jetzigen Beklagten. Mit Wirkung zum Ablauf des 31.07.2013 wurde die Klägerin in den Ruhestand versetzt.
In der Dienstordnung für die Dienstordnungsangestellten der Beklagten (DO) hieß es u.a.:
"§ 1 Geltungsbereich
(1) Diese Dienstordnung regelt die Rechts- und allgemeinen Dienstverhältnisse der Dienstordnungsangestellten auf Lebenszeit.
(2) Soweit in dieser Dienstordnung auf die für Landesbeamte geltenden Vorschriften verwiesen wird, gelten die Vorschriften für Landesbeamte des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils gültigen Fassung.
...
§ 22 Versorgung
(1) Für die Versorgung gelten die Vorschriften für Landesbeamte des Landes NRW entsprechend.
..."
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichte DO Bezug genommen. Im Beamtenversorgungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (LBeamtVG) sahen u.a. §§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 10 Satz 1 und 12 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG vor, dass Zeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeiten gelten und auch nicht berücksichtigt werden können.
Mit Schreiben vom 08.10.2013 teilte die Beklagte der Klägerin Versorgungsbezüge in Höhe von 1.524,48 Euro brutto (1.269,70 Euro netto) mit. Bei der Berechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit berücksic...