Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterrichtung nach § 613 a Abs. 5 BGB. Verwirkung des Widerspruchs. Verzicht. Kündigung durch den Erwerber. Beendigungsvergleich mit dem Erwerber. Betriebsübergang. Fehlerhafte Unterrichtung. Haftungsrechtliche Folgen. Widerspruch. Rechtsmissbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Die Unterrichtung ist fehlerhaft und setzt den Lauf der Widerspruchsfrist gemäß § 613 a Abs. 6 BGB nicht in Gang, wenn über die haftungsrechtlichen Folgen des Betriebsübergangs nicht unterrichtet worden ist.
2. Im Falle einer fehlerhaften Unterrichtung kann der Arbeitnehmer – bis zur Grenze der Verwirkung – grundsätzlich unbefristet von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen.
3. Die Vertragsfortführung mit dem Betriebserwerber kann grundsätzlich vor Ablauf der Widerspruchsfrist nicht als Zustimmung des Arbeitnehmers zum Arbeitgeberwechsel oder als stillschweigender Widerspruchsverzicht gewertet werden.
4. Läuft die Widerspruchsfrist wegen einer fehlerhaften Unterrichtung nicht, so kann in der Erhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung kein konkludenter Verzicht des Arbeitnehmers auf die Ausübung des Widerspruchsrechts gesehen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer keine Anhaltspunkte dafür hat, dass sein Widerspruchsrecht noch bestehen könnte. Gleiches gilt für den Abschluss eines gerichtlichen Beendigungsvergleichs mit dem Betriebserwerber.
5. Ob die Ausübung des Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 5-6
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Urteil vom 17.05.2006; Aktenzeichen 3 Ca 143/06 lev) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Solingen vom17.05.2006 – 3 Ca 143/06 lev – abgeändert:
Es wird festgestellt, das zwischen den Parteien ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner am 20.01.2006 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.
Der am 22.10.1964 geborene, verheiratete Kläger, der zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 06.05.1991 bei der Beklagten als Chemiearbeiter beschäftigt. Er erzielte eine durchschnittliche Bruttovergütung von 11.005,00 EUR im Quartal.
Der Kläger war dem Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) zugeordnet, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.
Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab.
Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu gegründete B.Photo GmbH übertragen.
Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere Geschäftsführer der B. Photo GmbH F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden sich in den betriebsinternen Magazinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro Barmittel.
Sämtliche dem Geschäftsbereich CI zugeordneten Arbeitnehmer der Beklagten haben im Oktober 2004 im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbereichs CI eine im wesentlichen gleich lautende schriftliche Information erhalten. Die Informationsschreiben unterscheiden sich allerdings abhängig von der jeweiligen arbeitsvertraglichen Situation der betroffenen Mitarbeiter in Einzelfragen voneinander.
Mit Schreiben vom 22.10.2004 wurde auch der Kläger über die geplante Übertragung des Geschäftsbereichs CI informiert. Nach Hinweis auf die Informationspflicht gemäß § 613 a BGB und Wiedergabe des Textes von § 613 a Abs.5 und 6 BGB teilte die Beklagte mit, es werde hiermit „noch einmal” schriftlich die vorgesehene und mit dem Verhandlungsgremium des Gesamtbetriebsrates und der örtlichen Betriebsräte abgest...