Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Kündigung der Arbeitsverhältnisse der Flugzeugführer der in Insolvenz gefallenen Air Berlin. Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Luftfahrtunternehmen stellen einzelne Flugzeuge Start- und Landerechte ("Slots"), Langstrecken, Mittel- und Kurzstrecken für sich betrachtet keine selbständig abgrenzbaren wirtschaftlichen und organisatorischen Betriebsteile dar. Bei den einzelnen Abflugstationen kommt es auf deren Ausgestaltung und Organisationsstruktur an.
2. Eine Massenentlassungsanzeige ist nicht wegen fehlerhafter Angabe der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer von der Angabe nicht betroffen ist und sie keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur hat.
Normenkette
BGB § 613a; KSchG § 17
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.04.2018; Aktenzeichen 15 Ca 6841/17) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.04.2018 - Az. 15 Ca 6841/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugunsten des Klägers zugelassen, soweit die Berufung im Hinblick auf die Abweisung des Kündigungsschutzantrags zurückgewiesen wird. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung und die Erteilung von Auskünften.
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C.. Der am 28.01.1958 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.01.1991 bei der Schuldnerin als Flugzeugkapitän auf den Flugzeugmustern Airbus A 320 und A 330 beschäftigt. Wegen der Arbeitsbedingungen im Einzelnen wird auf den schriftlichen Arbeitsvertrag 19.10.1999 - Bl.8 ff. der Akte - Bezug genommen. Der Kläger verdiente zuletzt durchschnittlich 15.042,94 € brutto monatlich und war auf dem dienstlichen Einsatzort E. stationiert. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag Nr. 4 für das Cockpitpersonal der LTU Lufttransport Unternehmen GmbH Anwendung (im Folgenden MTV Nr. 4). Nach § 50 Abs. 3 Satz 1 MTV Nr. 4 kann Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und zusätzlich eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren haben, nicht ohne wichtigen Grund (i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB) gekündigt werden.
Bei der Schuldnerin handelt es sich um die bis Ende des Jahres 2017 zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft, die von ihren Drehkreuzen in E. und C.-U. hauptsächlich Ziele in ganz Europa, Nordafrika und Übersee anflog. Sie beschäftigte nach Angaben des Beklagten im August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden.
Keines der von der Schuldnerin genutzten Flugzeuge stand im Eigentum der Schuldnerin. Alle Flugzeuge waren von dieser geleast worden. Die Schuldnerin betrieb den Flugbetrieb zuletzt im Wesentlichen mit den Flugzeugmustern der A 320-Familie sowie des A 330. Die A 320-Familie wurde hauptsächlich für die Mittel- und Kurzstrecke eingesetzt, die A 330 hauptsächlich für die Langstrecke. Seit dem Jahr 2016 flog die Schuldnerin nicht mehr ausschließlich im eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb, sondern auch im sog. "wet lease" für die F. GmbH und die Deutsche M. AG. Bei einem wet lease werden Flugzeuge einschließlich Cockpit-Crew, Kabinenpersonal, Wartung und Versicherung bereitgestellt. So flogen bis zu 38 Flugzeuge der Schuldnerin im wet lease insbesondere im Auftrag der F. GmbH. Der Vertrag war für sechs Jahre abgeschlossen. Die dort eingesetzten Mitarbeiter erhielten F.-Uniformen. Auch der Kläger, der schwerpunktmäßig auf Langstreckenflügen eingesetzt wurde, flog vereinzelt im wet lease.
Bei der Schuldnerin ist für die Piloten gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG auf Basis des "Tarifvertrags Personalvertretung für das Cockpitpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG" (im Folgenden TVPV) eine Personalvertretung (im Folgenden PV Cockpit) gebildet. Für das Kabinenpersonal bestand die PV Kabine. Am 14.02.2017 schloss die Schuldnerin mit PV Cockpit einen Rahmen-Interessenausgleich zur Umstrukturierung der Air Berlin für das Cockpitpersonal. Darin hieß es, die Organisationsstruktur des Flugbetriebes müsse geändert werden. Es solle die Ausgliederung des Touristikgeschäfts, die Bereederung von Flugzeugen im Rahmen der mit der Deutschen M. Group (Deutsche M. AG, F. GmbH und B. Airlines AG) getroffenen wet-lease-Vereinbarung (ACMIO-Operation) und eine Neuausrichtung der verbleibenden Kapazitäten im Rahmen des Programms "New Air Berlin" erfolgen. In der Anlage 1 zum Rahmen-Interessenausgleich hieß es auszugsweise weiter:
"§ 1
Die Zuordnung zur ACMIO-Operation ergibt sich bei ausschließlichen ACMIO-Stationen aus der entsprechenden Stationierung. An "gemischten Stationen" erfolgt eine individuelle Zuordnung erst, sobald die "dedicated crew" Operation aufgenommen wird. Mitarb...