Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit niedrigerer Nachtzuschläge für vermeidbare Nachtarbeit. Sachlicher Grund bei tarifvertraglicher Differenzierung zwischen Nachtschicht und sonstiger Nachtarbeit. Gestaltungsermessen der Tarifvertragsparteien bei Bewertung der Vermeidbarkeit von Nachtarbeit. Bildung von Gruppen planmäßiger und außerplanmäßiger Nachtarbeit zulässig

 

Leitsatz (amtlich)

In einem Tarifvertrag darf für Nachtschichtarbeit ein niedrigerer Zuschlag vereinbart werden als für sonstige Nachtarbeit, sofern die Nachtarbeit außerhalb einer Schicht regelmäßig vermeidbar ist. Hinsichtlich der Beurteilung, ob Nachtarbeit vermeidbar ist, wenn man sie noch teurer macht, steht den Tarifvertragsparteien im Hinblick auf ihre Sach- und Branchenkenntnis eine Einschätzungsprärogative zu.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; TVG § 1; ArbZG § 6; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 21.01.2020; Aktenzeichen 1 Ca 2526/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.04.2024; Aktenzeichen 10 AZR 598/20)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 21.01.2020 - Az.: 1 Ca 2526/19 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Zuschläge für geleistete Nachtschichtarbeit.

Der Kläger ist seit 1997 bei der Beklagten als Arbeiter im Schichtbetrieb zu einem Bruttostundenlohn in Höhe von zuletzt 17,85 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, Essigindustrie, Senfindustrie für das Land Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2004 (MTV), der Entgelttarifvertrag für die obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, Essigindustrie, Senfindustrie für das Land Nordrhein-Westfalen tätigen Arbeitnehmer vom 14.05.2018 (ETV) sowie der Haustarifvertrag zur Konti-Schicht vom 08.12.2017 (HTV) Anwendung.

Der MTV enthält - soweit hier von Relevanz - folgende Bestimmungen:

"III.

Zusätzliche Regelungen zur Arbeitszeit

[…]

6. Bezahlte Essenspause bei Zwei- bzw. Drei-Schicht-System

In Betrieben, in denen im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System gearbeitet wird, muss den Arbeitnehmern, die aus betrieblichen Gründen wegen ununterbrochenen Fortgangs der Arbeit ihren Arbeitsplatz nicht verlassen können, eine bezahlte Essenspause von 30 Minuten innerhalb der Arbeitszeit gewährt werden.

§ 4 Mehrarbeit, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

[…]

2.Schichtfreizeit

Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.

Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten nach diesem System für je 55 geleistete Spätschichten eine Freischicht.

§ 5 Mehrarbeit, Nach-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

1. Begriffsbestimmung

[…]

b) Mitbestimmung des Betriebsrates und Ausdehnung der Arbeitszeit

Mehrarbeit ist nach Möglichkeit zu vermeiden. […]

c) Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.

[…]

2. Zuschläge

Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

a) Für Mehrarbeit 25 %,

ab der 3. Mehrarbeitsstunde am Tage 30 %

[…]

b) für Nachtarbeit 50 %

c) für Schichtarbeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr 25 %.

[…]

3. Berechnung der Zuschläge [

[…]

b) Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen.

Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2 c). Dieser Zuschlag ist auch bei Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.

[…]

§ 7 Entgeltzahlung

[…]

Variable Entgeltbestandteile können im Folgemonat abgerechnet und ausbezahlt werden.

[…]

§ 15 Ausschlussfrist

Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Beschäftigungsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Entstehen des Anspruchs geltend zu machen. …Auf diese Bestimmung des Tarifvertrages hat die Betriebsleitung durch ständigen Aushang am Schwarzen Brett besonders hinzuweisen.

[…]"

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den von der Beklagten als Anlage B 1 übersandten MTV verwiesen.

Unter dem 08.12.2017 schlossen die Beklagte und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, einen "Haustarifvertrag zur Konti-Schicht" (HTV Konti). Dieser enthält u.a. folgende Regelungen:

"…

Präambel

Dieser Haustarifvertrag eröffnet - auf der Grundlage der geltenden Tarifverträge für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie in Nordrhein-Westfalen - die Möglichkeit, die Produktionszeit für die im Geltungsbereich genannten Abteilungen auszudehnen. Ziel dieses Haustarifvertrages ist die Sicherung und der Ausbau der Arbeitsplätze und die Planungssicherheit von Arbeits- und Freizeit für alle Arbeitnehmer/innen (nachfolgend Arbeitnehmer genannt).

[…]

§ 1 Geltungsbereich

[…]

2. persönlich:

Für alle Arbeitnehmer in den Abteilungen PET-Produktion: MAG 01, MAG...

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