Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Filialleiterin wegen Erstellung eines falschen Pfandbons über 3,25 EUR
Leitsatz (amtlich)
Erstellt ein Arbeitnehmer einen falschen Pfandbon, um sich unter Verletzung des Vermögens seines Arbeitgebers das Pfandgeld rechtswidrig zuzueignen, ist der mit einer derartigen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch auch bei einem geringfügigen Schaden jedenfalls dann besonders gravierend, wenn der betreffende Arbeitnehmer gerade damit betraut ist, die Vermögensinteressen des Arbeitgebers zu wahren, wie dies bei einer Kassiererin der Fall ist. Der Verstoß gegen eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat, eine mit Zustimmung des Betriebsrats vorgenommene Videoüberwachung nur im Beisein des Betriebsrats auszuwerten, führt jedenfalls dann nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn der Betriebsrat der Verwendung als Beweismittel und der darauf gestützten Kündigung zustimmt und die Beweisverwertung nach den allgemeinen Grundsätzen gerechtfertigt ist. Bei im Rahmen einer Videoüberwachung sich ergebenden "Zufallsfunden" muss das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 2; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Entscheidung vom 04.09.2014; Aktenzeichen 1 Ca 272/14) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 04.09.2014, 1 Ca 272/14, abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer Klage wehrt die Klägerin sich gegen eine seitens der Beklagten ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Die am 10.05.1970 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 02.11.1998 bei der Beklagten, die ständig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin zu einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 1.229,52 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt.
Die Filiale, in der die Klägerin beschäftigt worden ist, wird videoüberwacht. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten befinden sich an den Zugängen Hinweisschilder auf die Videoüberwachung.
Die Klägerin ist als Verkäuferin eingestellt worden und war überwiegend als Kassiererin tätig. Bei der Beklagten existiert keine Zeiterfassung in Form einer Stechuhr. Es werden lediglich die abgeleisteten Stunden erfasst. Bei der Beklagten besteht eine Dienstanweisung, wonach kein Mitarbeiter sich selbst bedienen darf. Es gilt das "Vier-Augen-Prinzip".
Die Beklagte stellte im Rahmen der Bilanzinventur im Oktober 2013 in der Filiale, in der die Klägerin beschäftigt war, fest, dass sich im Zeitraum vom 05.06. bis 15.10.2013 die Inventurverluste in den Warengruppen Tabak/Zigaretten und Nonfood im Verhältnis zur vorausgegangenen Inventur mehr als verzehnfacht hatten. Der Inventurverlust im Bereich von Tabak/Zigaretten hatte sich von 415,00 € auf 5.076,00 € erhöht, der Verlust im Bereich Nonfood von 300,00 € auf 5.445,00 €. Die Beklagte führte daraufhin Recherchen in der Filiale durch, um die Ursache für die signifikant angestiegenen Inventurverluste aufzuklären. Die Einsicht in die Arbeitszeitpläne und die Überprüfung der Warenbestände im Zusammenhang mit Abwesenheitszeiten der verantwortlichen Marktleitung ließ aus Sicht der Beklagten nur den Schluss zu, dass der Inventurverlust vom Personal zu verantworten sei. Der Beklagten fiel auf, dass insbesondere von der Mitarbeiterin E. gebuchte Warenrücknahmen im Nonfood-Bereich immer wieder körperlich nicht im Bestand der Filiale vorhanden waren, ohne dass ein Abverkauf dieser Waren festgestellt werden konnte. Die daraufhin durchgeführten weiteren Kontroll- und Revisionsmaßnahmen, unter anderem im Bereich der Kontrolle der Kassenjournale mit Zugang-/Umsatzauswertung, die Überprüfung der EDV-Systeme Belieferungs- und Abverkaufskontrolle, Warenfluss sowie die Prüfung der Mitarbeiter durch Früh-/Spät-/Mittags-/Taschenkontrollen führten nicht zur Aufklärung der Inventurverluste. Der konkrete Tatverdacht der Beklagten richtete sich zunächst gegen die Mitarbeiterinnen Frau E. und Frau N..
Mit Schreiben vom 25.11.2013 beantragte die Beklagte bei dem bei ihr bestehenden Betriebsrat unter Hinweis auf die beiden Mitarbeiterinnen E. und N. die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung im Kassenbereich der Filiale im Zeitraum vom 15.12. bis zum 29.12.2013.
Mit Schreiben vom 28.11.2013 stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten Videoüberwachung unter der Voraussetzung zu, dass die Auswertung des Bildmaterials im Beisein des Betriebsrats vorzunehmen sei, bevor jedwede Gespräche oder Reaktionen gegenüber Mitarbeitern angesetzt werden.
Die Auswertung der verdeckten Videoüberwachung erfolgte durch den Revisor ...