Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt des Beginns eines Arbeitsvertrages bei Anreise zum Schulungsort am Vortag. Rechtsfolgen hinsichtlich der sachgrundlosen Befristung des Arbeitsvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einigen sich die Vertragsparteien darüber, dass der Arbeitnehmer zu einer im betrieblichen Interesse erforderlichen und angeordneten Schulung, die am frühen Morgen des Tages beginnen soll, der zunächst als Vertragsbeginn vorgesehen war, bereits am Vortag anreist, weil der Schulungsort so weit vom Dienstort entfernt liegt, dass anderenfalls eine rechtzeitige Anreise nicht möglich oder unzumutbar wäre, handelt es sich bei der Fahrtzeit für die dienstlich erforderliche Anreise um Arbeitszeit im arbeitsvertragsrechtlichen Sinne. Der Arbeitnehmer erbringt damit bereits die versprochenen Dienste im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB (a.F.).

2. Vertragsrechtliche Arbeitszeit ohne Arbeitsvertrag gibt es nicht.

3. Die Einigung über vertragsrechtliche Arbeitszeit am Vortag des ursprünglich vorgesehenen Vertragsbeginns führt zur einvernehmlichen Vorverlegung des Beginns des Arbeitsverhältnisses auf den Tag der Dienstreise. Auch wenn im schriftlichen Arbeitsvertrag abweichend als Vertragsbeginn erst der Tag des Schulungsbeginns genannt wird, liegt darin lediglich eine falsa demonstratio. Aufgrund der Übereinkunft hinsichtlich der am Vortag stattfindenden Dienstreise haben die Parteien den Vertragsbeginn einvernehmlich auf dieses Datum vorverlegt.

4. Die Vorverlegung des Vertragsbeginns unterliegt nicht dem Schriftformgebot des § 14 Abs. 4 TzBfG.

5. Beginnt das Arbeitsverhältnis dementsprechend am 04.09.2016, überschreitet eine bis 04.09.2018 vereinbarte Befristung den für sachgrundlose Befristungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG maximal zulässigen Zeitraum von zwei Jahren um einen Tag. Rechtsfolge ist die Unwirksamkeit der Befristungsabrede und das Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses.

6. Rügt der Kläger die Überschreitung der Zweijahresfrist des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG erstmalig im Berufungsverfahren, ist er gleichwohl mit seiner Rüge nicht präkludiert, wenn das Arbeitsgericht erstinstanzlich den erforderlichen Hinweis nach § 17 Satz 2 TzBfG i.V.m. § 6 KSchG nicht erteilt hat.

7. Zur Präklusion neuen Sachvortrages im Berufungsverfahren nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 67 ArbGG.

 

Normenkette

TzBfG § 14 Abs. 2, 4, § 17; KSchG §§ 6-7; BGB §§ 133, 157, 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2, § 611 Abs. 1; ArbGG § 67

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.09.2018; Aktenzeichen 13 Ca 1518/18)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 21.09.2018 - Az: 13 Ca 1518/18 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

    1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Befristung im Arbeitsvertrag vom 24./29.08.2016 in Verbindung mit dem Änderungsvertrag vom 03./07.02.2017 nicht beendet worden ist.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 24./29.08.2016 zu beschäftigen.
    3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.

  • IV.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt im Berufungsrechtszug noch über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses sowie hilfsweise über die Berücksichtigung des Klägers bei der Vergabe von Stellen bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Der am 05.10.1976 geborene, in E. wohnhafte Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60. Er ist deutscher Staatsangehöriger, Volljurist und arbeitete seit Mai 2010 als Rechtsanwalt, unter anderem auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts.

Mitte August 2016 bewarb sich der Kläger auf eine Ausschreibung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. In einer E-Mail des Personalmanagements des BAMF vom 24.08.2016 an den Kläger heißt es wie folgt:

"Sehr geehrter Herr B. El-I.,

wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie für eine Einstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgesehen sind.

Es ist beabsichtigt, Sie - vorbehaltlich der Vorlage eines Führungszeugnisses ohne Eintrag sowie der Zustimmung aller zu beteiligenden Gremien - zum 05.09.2016 bis 04.03.2017 als Anhörer beim Bundesamt einzustellen. Es handelt sich um einen auf sechs Monate befristeten Arbeitsvertrag der Entgeltgruppe E12 TVÖD des Bundes.

Sie sind für einen Einsatz in der Außenstelle E. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorgesehen. Bitte teilen Sie uns bis 27.08.2016 mit, ob Sie die angebotene Stelle annehmen möchten.

Vor Beginn der Tätigkeit werden Sie durch entsprechende Schulungen gezielt auf die zukünftige Tätigkeit vorbereitet. Die Qualifizierungszeit beträgt etwa drei Wochen.

Bitte kommen Sie zur Unterzeichnung Ihres Arbeitsvertrages am 29.08.2016 um 09:00 Uhr an folgende Adr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge