Entscheidungsstichwort (Thema)
Festlegung der Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten durch die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche
Leitsatz (amtlich)
1. Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche können gemäß § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG eine Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten festlegen.
2. Eine Tarifkollision iSv. § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG liegt bereits dann vor, wenn sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden. Auf die Regelungsgegenstände kommt es nicht an.
3. Regelungen des Minderheitstarifvertrags werden nicht verdrängt, wenn aus einer objektivierten Perspektive neben dem anwendbaren Tarifvertrag weitere inhaltliche Regelungen anwendbar bleiben sollen. Davon ist auszugehen, wenn Tarifleistungen nicht erkennbar untereinander verknüpft sind, weil sie zu ganz verschiedenen Regelungskomplexen gehören. Danach bleibt die Überlassungshöchstdauer für Zeitarbeitnehmer, die in § 2 Nr. 3 Satz 2 des mit der Christlichen Gewerkschaft Metall geschlossenen Tarifvertrags zur Regelung der Zeitarbeit in den Elektrohandwerken vom 30.06.2018 geregelt ist, im Hinblick auf die mit der IG Metall geschlossenen Tarifverträge für das elektrotechnische Handwerk anwendbar.
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1b; TVG § 4a Abs. 2 S. 2; GG Art. 9 Abs. 3; AÜG § 1 Abs. 1b S. 1, 3, 7
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Entscheidung vom 18.10.2023; Aktenzeichen 4 Ca 919/23) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 18.10.2023 - 4 Ca 919/23 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob zwischen ihnen aufgrund Überschreitung der Höchstüberlassungsgrenze aus § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist und nach welcher Entgeltgruppe der Kläger ggf. zu vergüten ist.
Der Kläger ist bei der J. GmbH & Co. KG, einem Zeitarbeitsunternehmen, seit dem 30.08.2021 als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Er erhielt seinen Facharbeiterbrief als Elektriker nach einer dreijährigen Ausbildung im Jahr 1993 und war seitdem als Elektriker tätig.
Die J. GmbH & Co. KG setzte den Kläger durchgängig vom 30.08.2021 bis 10.05.2023 bei der Beklagten ein.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Elektrohandwerks und Mitglied der N., die wiederum Mitglied des Fachverbandes für Elektro- und Informationstechnische Handwerke Nordrhein-Westfalen (Landesinnungsverband) ist. Der Landesinnungsverband ist Mitglied des Zentralverbandes der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (Bundesinnungsverband).
Der Landesinnungsverband und die IG Metall (IGM) vereinbarten am 05.11.2013 einen Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der elektrotechnischen Handwerke in Nordrhein-Westfalen (MTV IGM 05.11.2013). Er enthielt in § 1 und § 16 auszugsweise folgende Regelungen:
"§ 1
Geltungsbereich
1.1 Räumlich:
Für das Land Nordrhein-Westfalen.
1.2 Fachlich:
Für das Elektrotechniker-Handwerk mit den Ausbildungsberufen Elektroniker/-in, Fachrichtungen Energie- und Gebäudetechnik, Automatisierungstechnik, Informations- und Telekommunikationstechnik und Systemelektroniker/-in sowie das Elektromaschinen-bauer-Handwerk mit dem Ausbildungsberuf Elektroniker/-in für Maschinen und Antriebstechnik.
1.3 Persönlich:
1.3.1 Für alle Arbeitnehmer (gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte).
1.3.2 Nicht unter den persönlichen Geltungsbereich fallen:
1.3.2.1 gesetzliche Vertreter von juristischen Personen und Prokuristen;
1.3.2.2 Angestellte mit einem Aufgabengebiet, das höhere Anforderungen stellt, als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe;
1.3.3 Auszubildende.
...
§ 16
Anwendung bei Arbeitnehmerüberlassung
Dieser Manteltarifvertrag sowie die nachstehend bezeichneten Tarifverträge für Arbeitnehmer der Elektrohandwerke in Nordrhein-Westfalen gelten auch für den Fall der Überlassung der im persönlichen Geltungsbereich (§1 Ziffer 1.3) genannten Arbeitnehmer an andere Unternehmen. Diese Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung haben Geltung als abweichende Regelung im Sinne von § 3 Absatz 1 Nummer 3 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in der ab 1. Januar 2003 gültigen Fassung. Der Gleichstellungsgrundsatz des AÜG findet insoweit keine Anwendung. ..."
In der Ergänzungsvereinbarung zum Manteltarifvertrag vom 29.03.2017 (Ergänzung MTV IGM) vereinbarten der Landesinnungsverband und die IGM, dass § 16 Abs. 1 Satz 2 MTV 05.11.2013 wie folgt gefasst werde:
"Diese Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung haben Geltung als abweichende Regelung im Sinne von § 8 Abs. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz; hinsichtlich der Arbeitsentgelte ist diese Abweichung auf 9 Monate beschränkt."
Weitere Bestimmungen enthielt die Ergänzung MTV IGM nicht.
Der zwischen dem Landesinnungsverband und der IGM am 21.03.2023 geschlossene Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der elektrotechnischen Handwerke in Nordrhein-Westfalen (MTV IGM 21.03.2023) führte die bestehenden Regelungen in ...