Entscheidungsstichwort (Thema)
Beabsichtigte endgültige Stilllegung des Betriebs als betriebsbedingter Kündigungsgrund. Keine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Einheit beim Wet Lease oder bei einzelnen Flugzeugen eines Luftverkehrsunternehmens im Sinne eines Teilbetriebsübergangs. Ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren mit der Personalvertretung vor dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen. Zuständige Agentur für Arbeit für die Massenentlassungsanzeige für das fliegende Personal bei mehreren Abflugstationen. Unrichtige Angabe der Mitarbeiterzahl kein Grund für eine Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Luftfahrtunternehmen stellen einzelne Flugzeuge für sich betrachtet keine selbstständig abgrenzbaren wirtschaftlichen und organisatorischen Betriebsteile im Sinne des § 613a BGB bzw. der Richtlinie 2001/23/EG vom 12. März 2001 dar.
2. Eine Massenentlassungsanzeige ist nicht wegen fehlerhafter Angabe der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer von der Angabe nicht betroffen ist und sie keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur hat.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, § 17; BGB § 613a; RL 2001/23/EG Art. 6; TV PV Cockpit § 74 Abs. 1; BetrVg § 102
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.04.2018; Aktenzeichen 9 Ca 7000/17) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.04.2018 - 9 Ca 7000/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Der im November 1966 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit Juli 1996 bei der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs-KG (im Folgenden: Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin als Kapitän gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von etwa 15.300,00 € beschäftigt. Sein dienstlicher Einsatzort war zuletzt E.. Bei dem Beklagten handelt es sich um den Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin.
Die Schuldnerin war bis Ende 2017 die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft mit Sitz in C.. Sie beschäftigte - nach Angaben des Beklagten mit Stand August 2017 - 6.121 Arbeitnehmer, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 am Boden.
Bei der Schuldnerin war für die Piloten gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG auf Basis des "Tarifvertrags Personalvertretung für das Cockpitpersonal der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG" (im Folgenden TVPV) eine Personalvertretung (im Folgenden PV Cockpit) gebildet. Entsprechendes gilt auf der Grundlage eines weiteren Tarifvertrages für das Kabinenpersonal. Für die Bodenbeschäftigten sind Betriebsräte gebildet.
Seit 2016 flog die Schuldnerin nicht mehr ausschließlich im eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb, sondern auch im sog. Wet-Lease insbesondere für die Euro x. GmbH (im Folgenden: Euro x.) und die Deutsche M. AG. Bei einem Wet-Lease werden Flugzeuge einschließlich Cockpit-Crew, Kabinenpersonal, Wartung und Versicherung bereitgestellt.
Am 15.08.2017 stellte die Schuldnerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Noch am selben Tag ordnete das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg (- 36a IN 4295/17 -) die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten zum vorläufigen Sachwalter.
Am 12.10.2017 unterzeichneten der Beklagte als vorläufiger Sachwalter, der Generalbevollmächtigte Dr. L. sowie der Executive Director der Komplementärin der Schuldnerin X. eine gemeinsame Erklärung (Anlage B 1, Bl. 52 ff. d. A.), die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
"I. [...]
1. Die im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung aufgestellte Liquiditäts- und Fortführungsplanung hat vorgesehen, dass unter Berücksichtigung des durch einen mit Bundesbürgschaft abgesicherten Übergangskredit i.H.v. 150 Mio € der Flugbetrieb bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (voraussichtlich Ende Oktober 2017) aufrechterhalten werden kann.
2. Eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im eröffneten Insolvenzverfahren ist nur möglich, sofern das Unternehmen bzw. Teile des Unternehmens im Rahmen einer übertragenden Sanierung auf einen oder mehrere Erwerber zum Stichtag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens übertragen wird. Ein entsprechendes Angebot liegt nicht vor, so dass eine übertragende Sanierung des Unternehmens bzw. von Teilen des Unternehmens nicht erfolgt. Eine kostendeckende Betriebsfortführung im eröffneten Insolvenzverfahren ist somit nicht möglich und wäre unzulässig. Dies ergibt sich aus der fortgeschriebenen Liquiditäts- und Fortführungsplanung ab dem 15. August 2017. Vor diesem Hintergrund ist die Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG gezwungen, zum Stilllegungszeitpunkt die für sämtliche Flugzeuge bestehenden Leasingverträge durch Kündigung bzw. Abschluss von Aufhebungsverträgen zu beenden und die Flugzeuge zurückzugeben.
3. Die Geschäfts...