Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Betriebsübergang bei Übergang eines Wet-Lease-Geschäfts bei Luftverkehrsgesellschaften. Keine Arbeitnehmerüberlassung bei Wet-Lease-Geschäften. Gestaltungsmissbrauch bei gesetzeswidriger Umgehung eines Rechtsinstituts

 

Leitsatz (amtlich)

Teil einer Massensache in Zusammenhang mit der Insolvenz einer Luftfahrtgesellschaft, vgl. Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 11. August 2021 - 4 Sa 107/21 -, juris, dort vollständig dokumentiert. Inhaltsangabe: Entscheidung über Kündigung und Betriebsübergang in Zusammenhang mit der Insolvenz einer Luftfahrtgesellschaft.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beim Wet-Lease stellt eine Fluggesellschaft einer anderen Fluggesellschaft für deren Flugstrecke ein Flugzeug nebst Besatzung, Wartung, Versicherung und Betriebskosten zur Verfügung. Tritt eine andere Gesellschaft an die Stelle des bisherigen Wet-Lease-Nehmers, ist dies kein Betriebsübergang i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB. Denn es findet hier nur die bloße Fortführung einer Geschäftsbeziehung auf der Kundenseite statt.

2. Bei einem Wet-Lease-Geschäft handelt es sich nicht um eine Arbeitnehmerüberlassung, sondern um einen von den §§ 9 und 10 AÜG nicht erfassten Vertrag eigener Art (sui generis). Das beim Wet-Lease eingesetzte Personal wird nicht in die Arbeitsorganisation des Wet-Lease-Nehmers eingegliedert und unterliegt auch nicht dessen Weisungen. Beim Wet-Lease wird ein Unternehmen aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrags für einen Dritten tätig.

3. Rechtsmissbrauch setzt voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich zulässige rechtliche Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen. Eine Wet-Lease-Vereinbarung entspricht gebräuchlichen Geschäftsmethoden im Luftverkehr und ist nicht dazu vorgesehen, das Rechtsinstitut der Arbeitnehmerüberlassung in rechtsmissbräuchlicher Weise zu umgehen.

 

Normenkette

RL 2008/104/EG Art. 5 Abs. 5; MERL Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; EGV 1008/2008 Art. 2 Nr. 25 Fassung: 2008-09-24, Art. 13 Fassung: 2008-09-24; BGB §§ 242, 613a Abs. 1 S. 1, § 645 S. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 17 Abs. 2; AÜG §§ 1, 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1; ACMIO-RV Nr. 1.1 Fassung: 2017-10-15, Nr. 2.1 Fassung: 2017-10-15, Nr. 2.2 Fassung: 2017-10-15, Nr. 5.3 Fassung: 2017-10-15, Nr. 8.1 Fassung: 2017-10-15, Nr. 13 Fassung: 2017-10-15, Nr. 22.1 Fassung: 2017-10-15, Nr. 26.1 Fassung: 2017-10-15

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 26.11.2020; Aktenzeichen 10 Ca 4710/20)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.11.2020 - 10 Ca 4710/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klagepartei aufgrund betriebsbedingter Kündigung des Beklagten zu 1) beendet worden ist, sowie darüber, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs oder aber aufgrund verbotener Arbeitnehmerüberlassung mit der Beklagten zu 2) (fort-) besteht.

Der Beklagte zu 1) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Luftfahrtgesellschaft X. mbH (im Folgenden: Schuldnerin), einer deutschen Fluggesellschaft mit zuletzt ca. 348 Mitarbeitern im Bereich Boden, Cockpit und Kabine. Ihr Geschäftssitz war Düsseldorf. Für die Arbeitnehmer des Bereichs Cockpit war gemäß § 117 Abs. 2 S. 1 BetrVG durch den Tarifvertrag Personalvertretung Nr. 1 vom 05./10.02.2014 (im Folgenden TV-PV) eine Personalvertretung Cockpit (im Folgenden PV Cockpit) errichtet worden. Die Beklagte zu 2) ist eine Fluggesellschaft des M.-Konzerns mit ca. 9.000 Mitarbeitern und Sitz in Düsseldorf.

Die Klagepartei war seit dem 23.05.2011 bei der Schuldnerin auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages, wegen dessen Inhalt auf die mit der Klageschrift zu den Akten gereichte Kopie verwiesen wird, als Flugkapitän zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von zuletzt 9.594,91 Euro beschäftigt. Sie war am Flughafen Stuttgart stationiert.

Die Schuldnerin trat nicht eigenständig am Markt als Anbieter von Flugreisen gegenüber Endkunden auf, sondern betrieb Flüge im Wet-Lease auf der Grundlage sog. ACMIO-Verträge (Aircraft, Crew, Maintenance, Insurance, Overhead). Dabei stellte sie ein Flugzeug (Aircraft) nebst Besatzung (Crew), Wartung (Maintenance), Versicherung (Insurance) und Betriebskosten (Overhead) einer anderen Fluggesellschaft für deren Flugstrecke zur Verfügung, wobei Flugzeuge und Besatzung nach außen wahrnehmbar, etwa durch die Lackierung des Flugzeugs und die Uniformen des Kabinenpersonals, dem Auftraggeber zugeordnet sind und gegenüber den Fluggästen lediglich ein Hinweis auf den im Wet-Lease operierenden Dienstleister erfolgt. Über eigene Flugzeuge verfügte die Schuldnerin nicht, sondern leaste sie ihrerseits von Dritten im sog. Dry-Lease. Über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügte die Schuldnerin nicht.

Die Schuldnerin flog in diesem Wet-Lease-Geschäftsmodell zunächst...

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