Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Einheit bei einzelnen Flugzeugen, Abflugstationen oder Wet Lease eines Luftverkehrsunternehmens im Sinne eines Teilbetriebsübergangs. Auslegung eines tariflichen Pakts für Wachstum und Beschäftigung. Unterschiedliche Konsultationsverfahren für das Cockpit- und das Kabinenpersonal eines Luftverkehrsunternehmens. Anforderungen an ein rechtzeitiges und inhaltlich ausreichendes Konsultationsverfahren mit der Personalvertretung Kabine. Nachteilsausgleichsanspruch als Insolvenzforderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für einen Teilbetriebsübergang fehlt es an der erforderlichen identifizierbaren wirtschaftlichen und organisatorischen Teileinheit innerhalb des Flugbetriebs der Schuldnerin. Diese Anforderungen waren weder bezogen auf das einzelne Flugzeug, die Lang-, Mittel- oder Kurzstrecke, die Abflugstationen oder das wet- lease gegeben. Es ist deshalb eine Betriebsstilllegung gegeben. Es liegt weder ein Betriebsübergang im Ganzen noch ein Teilbetriebsübergang vor.

2. Auslegung der Bestimmung eines tariflichen Pakts für Wachstum und Beschäftigung, welche den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen erst nach Abschluss eines Sozialtarifvertrags vorsieht. Die Vorschrift erfasst nicht den Fall der vollständigen Betriebsschließung.

3. Bezugspunkt der Konsultationspflicht ist die beabsichtigte Kündigung und nicht die Betriebsänderung. Wenn das deutsche Recht über § 117 BetrVG im Bereich des Luftverkehrs für das Cockpit- und Kabinenpersonal unterschiedliche Arbeitnehmervertretungen vorsieht, dann kann die Konsultation von beiden in zulässiger Weise unterschiedlich wahrgenommen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Personalvertretung Kabine rechtzeitig zur Konsultation aufgefordert wurde, dieser Prozess aber einen längeren Zeitraum als beim Cockpitpersonal in Anspruch nahm.

4. Zur Einordnung eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich als Insolvenzforderung.

 

Normenkette

RL 98/59/EG Art. 1-3; RL 2001/23/EG; RL 2002/14/EG Art. 2; BetrVG §§ 116, 117 Abs. 2; BGB § 613a Abs. 1, § 623; InsO §§ 53, 55, 113, 209 Abs. 1-2; KSchG § 1 Abs. 2-3, §§ 4, 17 Abs. 1-2; ZPO § 286; TVPV §§ 74, 81, 83

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.06.2018; Aktenzeichen 6 Ca 1123/18)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.06.2018 - 6 Ca 1123/18 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung in der Insolvenz, die Frage eines Betriebsübergangs sowie hilfsweise über das Bestehen eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich und dessen insolvenzrechtliche Einordnung.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. Q. & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden Schuldnerin) mit Sitz in C.. Die am 08.08.1968 geborene Klägerin war seit dem 12.04.1996 bei der M.-Unternehmen GmbH & Co KG (im Folgenden M.) als Flugbegleiterin beschäftigt. Im Jahr 2011 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs im Zusammenhang mit einer aufnehmenden Verschmelzung auf die Schuldnerin über. Grundlage der Tätigkeit der Klägerin war zuletzt der noch mit der M. abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 07.02.1996 i.V. mit der Ergänzung vom 06.08.1997. In dem Arbeitsvertrag vom 07.02.1996 hieß es u.a.:

"§ 4 Dienstlicher Einsatzort

1. Dienstlicher Einsatzort ist I..

2. Der Arbeitnehmer wird seinen Wohnsitz so zu wählen, dass er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst an dem entsprechenden Einsatzort antreten kann.

3. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, einen PKW bereitzuhalten, um zu gewährleisten, dass er seinen Dienst auch dann pünktlich antreten kann, wenn öffentliche Verkehrsmittel nicht verkehren.

§ 12 Mobilitätsklausel

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, bei Bedarf im Rahmen der halbjährlichen Flugplanung einmal während der Vertragsdauer den dienstlichen Wohnsitz an den entsprechenden neuen Einsatzort zu verlegen. In diesem Fall übernimmt M.-Süd gemäß § 44 MTV die Umzugskosten. Die Versetzung erfolgt mit einer Vorankündigungsfrist von drei Monaten"

Aufgrund der Ergänzungsvereinbarung vom 06.08.1997 wurde die Klägerin ab dem 12.10.1997 unbefristet weiterbeschäftigt. Ab dem 01.11.1997 war E. dienstlicher Einsatzort. Im Jahre 2017 wurde die Klägerin im Rahmen des tariflichen Kinderbetreuungsmodells weiterbeschäftigt und von Bereitschaftsdiensten befreit. Die Klägerin wurde auf verschiedenen Flugrouten und in wechselnden Flugzeugen, überwiegend im Bereich Langstrecke, eingesetzt. Sie verdiente zuletzt monatlich durchschnittlich 1.800,00 Euro brutto. Ihr dienstlicher Einsatzort war nach wie vor E..

Bei der Schuldnerin handelte es sich um eine Fluggesellschaft. Sie beschäftigte mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. In der Firmenzentrale...

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