Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung ohne Abmahnung. Fristlose Kündigung wegen Diebstahl einer für die Mitarbeiter bereitgestellten Literflasche Desinfektionsmittel. Fristlose Kündigung bei strafloser Gebrauchsanmaßung
Leitsatz (amtlich)
Die Entwendung einer Einliterflasche Desinfektionsmittel, die der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern während der Corona-Pandemie zur Verfügung gestellt hat, rechtfertigt unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls die außerordentliche Kündigung eines langjährig bestehenden Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung.
Normenkette
BGB § 626; ZPO § 97 Abs. 1; BetrVG § 27 Abs. 1 S. 1, § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 01.07.2020; Aktenzeichen 6 Ca 632/20) |
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 01.07.2020 - Az.: 6 Ca 632/20 - wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie einen Weiterbeschäftigungsanspruch.
Der am 26.01.1978 geborene, verheiratete und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 15.03.2004 im Bereich des Lagers mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 32,5 Stunden und einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.105,64 € beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind ein Arbeitsvertrag vom 09.03.2004 (Bl. 4 ff. der Gerichtsakte) und eine Änderungsvereinbarung vom 17.07.2013 (Bl. 7 der Gerichtsakte).
Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit. In ihrem Betrieb ist ein elfköpfiger Betriebsrat eingerichtet. Ausweislich des Protokolls der Betriebsratssitzung vom 14.05.2018 (Bl. 160 ff. d. A.) fasste der Betriebsrat unter Ziffer 2 der Tagesordnung folgenden Beschluss:
"Der Entwurf der Geschäftsordnung wurde von K. verlesen. Der § 7.8 wird gestrichen. Vereinzelte orthographische Korrekturen.
Beschluss [II/2018/0005]
Der Betriebsrat der Firma United Q. Service, E. beschließt die Geschäftsordnung wie verlesen und als Anlage beigefügt.
Abstimmung: 11 Ja-Stimmen0 Nein-Stimmen0 Enthaltungen"
In der Geschäftsordnung heißt es auszugsweise:
"§ 1 Geltungsdauer
Diese Geschäftsordnung gilt für die Dauer der laufenden Amtsperiode.
...
§ 9 Aufgaben des Personalausschusses
Der Betriebsrat überträgt dem Personalausschuss die Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte gemäß §§ 99, 100 und 102 BetrVG zur selbständigen Erledigung.
...
Betriebsratsvorsitzenderstellv. Betriebsratsvorsitzender
B. X.B. A."
Der Kläger war in der Zeit von 00:00 Uhr bis 08:00 Uhr zusammen mit sieben Arbeitskollegen in der Fahrzeugwäscherei eingesetzt bei einer Pausenzeit von 03:30 Uhr bis 04:00 Uhr. Ihm stand bei der Arbeit ein Materialwagen zur Verfügung, auf dem die Waschutensilien wie Reinigungsbürsten, Eimer und Waschmittel etc. lagen. Der Kläger fuhr mit seinem Privatfahrzeug zur Arbeitsstelle auf das Werksgelände und stellte sein Auto regelmäßig ca. 50 m entfernt von seinem Arbeitsplatz ab. Die Beklagte führte bei der Ausfahrt regelmäßig Kofferraumkontrollen durch, dies war dem Kläger bekannt.
Mit Beginn der Corona-Pandemie stellte die Beklagte ihren Mitarbeitern Desinfektionsmittel zu Verfügung. In der Folgezeit wurden in den Sanitäranlagen mehrfach Papierrollen und Desinfektionsmittel herausgerissen und gestohlen mit der Folge, dass zeitweise dort kein Desinfektionsmittel zur Verfügung stand.
Am 23.03.2020 entnahm der Kläger während seiner Arbeitszeit dem für alle Mitarbeiter zugänglichen Materialkäfig eine 1 Liter Flasche Desinfektionsmittel - ausreichend für ca. 300 Handdesinfektionen - sowie eine Rolle Handtuchpapier und verbrachte diese in den Kofferraum seines Pkw. Eine Information darüber an andere Mitarbeiter erfolgte nicht. Der Materialkäfig befand sich näher am Arbeitsplatz des Klägers als sein geparkter Pkw.
Als der Kläger an diesem Tag nach Arbeitsende das Werksgelände verlassen wollte, fand eine Fahrzeugkontrolle statt. Die Mitarbeiterin des Werksschutzes fand im Kofferraum des Klägers die nicht angebrochene Plastikflasche mit Desinfektionsmittel sowie die volle Rolle Handtuchpapier. Sie nahm die Gegenstände an sich und informierte den Vorgesetzten des Klägers. In dem daraufhin noch am gleichen Tag durchgeführten Personalgespräch teilte der Kläger auf Nachfrage mit, er habe das Desinfektionsmittel und die Papiertücher während der Waschsortierung aus dem Materialkäfig genommen und in sein Auto verbracht, weil es auf den Toiletten kein Desinfektionsmittel mehr gegeben habe. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug nach Angabe der Beklagten unter Beachtung der Corona-bedingten Knappheit im Frühjahr 2020 rund 40,00 €.
Mit Schreiben vom 23.03.2020, adressiert "An den Betriebsrat im Hause über den Vorsitzenden des Betriebsrates/Personalausschusses" hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristger...