Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Unterrichtung über einen Betriebsübergang. Rechtsfolgen unvollständiger Unterrichtung. Verwirkung des Rechts zum Widerspruch gem. § 613a Abs. 6 BGB. Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach dem Betriebsübergang und vor Ausübung eines wirksam erklärten rückwirkenden Widerspruchs des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Unterrichtung über einen Betriebsübergang, die dem Arbeitnehmer fälschlicherweise den Eindruck einer längerfristig gesicherten Beschäftigungsmöglichkeit beim Betriebserwerber vermittelt, ist unvollständig und setzt die nach § 613a Abs. 6 BGB vorgesehene einmonatige Widerspruchsfrist nicht in Lauf. Der Arbeitnehmer kann dem Betriebsübergang daher auch noch nach Ablauf der Frist wirksam widersprechen.

2. Das Recht des Arbeitnehmers zum Widerspruch kann verwirken. Das erforderliche Umstandsmoment ist regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebserwerber disponiert hat. Auch ein mit einer Kündigungsschutzklage angekündigter allgemeiner Feststellungsantrag gerichtet auf das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber ist nicht geeignet, das Umstandsmoment zu erfüllen.

3. Eine Kündigung des Betriebserwerbers nach dem Betriebsübergang und vor Ausübung eines nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist noch wirksam erklärten - rückwirkenden - Widerspruchs des Arbeitnehmers gegen den Betriebsübergang wirkt nicht für und gegen den Betriebsveräußerer. Die Kündigung ist nicht genehmigungsfähig (§§ 180 Satz 2, 177 Abs. 1 BGB), weil der Betriebserwerber nicht als Vertreter des Betriebsveräußerers gehandelt hat (a.A. LAG Köln 05.10.2007 - 11 Sa 257/07 - ).

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 6, §§ 242, § 164 ff.

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 24.06.2015; Aktenzeichen 6 Ca 1223/15)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.06.2015 - 6 Ca 1223/15 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 29 % und die Beklagte zu 71 %.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz im Wesentlichen um die Wirksamkeit eines Widerspruchs der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses infolge eines Betriebsübergangs.

Die am 10.09.1974 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Klägerin war seit dem 01.09.2004 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als Assistentin Events in der Gastronomie "X." in der Philharmonie F. beschäftigt.

Die Beklagte betrieb die Gastronomie bis Ende August 2014. Insgesamt beschäftigte sie je nach Saison bis zu 60 Mitarbeiter, davon viele Teilzeitkräfte. Der zugrunde liegende Pachtvertrag mit der Stadt Essen war bis zum 31.12.2014 befristet. Seit Beginn des Jahres 2014 wurde nach einem neuen Pächter für die Einrichtung gesucht.

Mit Wirkung zum 01.09.2014 übernahm die O. N. Philharmonie GmbH & Co KG den Betrieb. Sie stieg in den befristeten Pachtvertrag der Beklagten mit der Stadt Essen ein. Sie erwarb die wesentlichen materiellen Betriebsmittel, soweit sie nicht bereits Gegenstand des Pachtvertrages waren, und übernahm die zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter.

Die O. N. Philharmonie GmbH & Co KG wurde am 15.09.2015 ins Handelsregister eingetragen, die persönlich haftende Beteiligungs-GmbH zuvor am 11.09.2015.

Mit Schreiben vom 12.09.2014, das nachmittags per Post versandt wurde, informierte die Beklagte die Klägerin über den Betriebsübergang. Dieses Schreiben lautet:

"Sehr geehrte Frau X.,

die O. N. Philharmonie GmbH & Co KG, C. str. 8, F., gesetzlich vertreten durch ihren alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer Herrn O. N., hat mit Wirkung zum 01.09.2014 den Geschäftsbetrieb in den Betriebsräumen der X. Gastronomie & Catering GmbH in der Philharmonie F. übernommen und ist in den bestehenden Pachtvertrag mit der Stadt Essen eingetreten.

Grund des Pächterwechsels zwischen der X. Gastronomie & Catering GmbH und O. N. Philharmonie GmbH & Co KG ist die Entscheidung, der Philharmonie F. eine leistungsfähige Gastronomie unter neuer Führung zu erhalten. Herr O. N. hat in F. als Gastronom einen sehr guten Ruf. Wir gehen davon aus, dass für die Mitarbeiter der X. Gastronomie & Catering GmbH die Zusammenarbeit mit Herrn O. N. eine Bereicherung darstellen wird. Mit der Fortführung des Geschäftsbetriebs durch die O. N. Philharmonie GmbH & Co KG wird die gastronomische Versorgung der Philharmonie F. noch besser als bisher schon gewährleistet werden.

Arbeitsrechtlich stellt die Übernahme des Geschäftsbetriebs und der Eintritt in den Pachtvertrag mit der Stadt Essen durch die O. N. Philharmonie GmbH & Co KG einen Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB dar. Mit dem Betriebsübergang erfolgt ein Arbeitgeberwechsel; ihr zukünftiger Arbeitgeber ist mit Wirkung 01.09.2014 die O. N. Philharmonie GmbH & Co KG.

Diese tritt in alle Rechte und Pflichten der am 01.09.2014 beste...

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