Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorweggenommene Abmahnung bei Nebenpflichtverletzung. Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten. Negativprognose nach vorweggenommener Abmahnung
Leitsatz (amtlich)
1. Anders als bei einer förmlichen Abmahnung kann im Anschluss an eine vorweggenommene Abmahnung nicht in der Regel davon ausgegangen werden, dass bei einer danach begangenen erneuten Pflichtverletzung eine negative Prognose gegeben ist.
2. Allerdings kann aufgrund der vorweggenommenen Abmahnung im Einzelfall eine förmliche Abmahnung entbehrlich sein. Hieran sind unter Rückgriff auf die Wertungen des § 323 Abs. 2 BGB i.V.m. § 314 Abs. 2 BGB strenge Anforderungen zu stellen.
Normenkette
BGB § 314 Abs. 2, § 323 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 1-2, § 9 Abs. 1; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.03.2012; Aktenzeichen 6 Ca 6436/11) |
Tenor
1.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.03.2012 - 6 Ca 6436/11 - wird als unzulässig verworfen, soweit sich die Berufung gegen die Abweisung des Auflösungsantrags zum 30.11.2011 richtet.
2.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3.
Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
4.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten und einer krankheitsbedingten Kündigung sowie über zwei Auflösungsanträge und über Ansprüche auf Vergütung aus Annahmeverzug.
Der am 10.10.1965 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 08.01.2007 bei der Beklagten im Werk E., in dem regelmäßig mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt werden, zuletzt als Mitarbeiter E. Move in 2-Schichtarbeit tätig. Die Beschäftigung erfolgte zunächst befristet auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 22.12.2006, der bis zum 30.09.2008 verlängert wurde. Letzte Grundlage der Beschäftigung war der unbefristete Arbeitsvertrag vom 26.06.2008/02.07.2008. In diesem hieß es u.a.:
"Nebenberufliche Erwerbstätigkeit
Beabsichtigen Sie eine nebenberufliche Erwerbstätigkeit auszuüben, so haben Sie dies rechtzeitig vorher der Geschäftsleitung mitzuteilen. Sie kann die nebenberufliche Tätigkeit untersagen, wenn berechtigte Interessen der Gesellschaft entgegenstehen. ... Eine vor Vertragsbeginn bestehende nebenberufliche Tätigkeit ist unverzüglich nach Vertragsbeginn der Geschäftsleitung anzuzeigen. ..."
Die monatliche Vergütung des Klägers betrug zuletzt 3.250,13 Euro brutto; die regelmäßige Arbeitszeit 35 Wochenstunden. Er war mit einem Grad von 20 vom Hundert als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Gegen diese Einstufung hatte der Kläger Widerspruch eingelegt. Er war zudem Inhaber eines selbständigen Gewerbes. Die Ausübung des Nebengewerbes wurde dem Kläger zu Beginn seiner Tätigkeit in einem Umfang von zehn Stunden gestattet. Im Rahmen dieser Tätigkeit nutzte er seinen eigenen PKW für Werbefahrten, indem ein Werbeanhänger für Unternehmen zu Messe- und Ausstellungszeiten gefahren wurde.
Der Kläger wies folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten auf: Im Jahr 2008 fehlte er insgesamt 26 Arbeitstage bei Entgeltfortzahlungskosten von 4.815,14 Euro. Im Jahr 2009 fehlte er insgesamt 25 Arbeitstage bei Entgeltfortzahlungskosten von 4.741,03 Euro. Im Jahr 2010 fehlte er insgesamt 99 Arbeitstage bei Entgeltfortzahlungskosten von 9.189,64 Euro. Im Jahr 2011 fehlte er insgesamt 92 Arbeitstage bei Entgeltfortzahlungskosten von 11.155,11 Euro. Nachdem der Kläger im Frühjahr 2011 erkrankt war, führten die Parteien am 17.06.2011 ein Gespräch aus Anlass der krankheitsbedingten Fehltage. In diesem Gespräch untersagte die Beklagte dem Kläger die weitere Ausübung der Nebentätigkeit. Der Umfang des Verbots ist zwischen den Parteien streitig. In diesem Gespräch wurden auch die Fehlzeiten und deren Ursache durch die Parteien erörtert.
Nach Ende der Arbeitsunfähigkeit erbrachte der Kläger bei der Beklagten seine Arbeitsleistung. Auch am 15.09.2011 erbrachte der Kläger bei der Beklagten die geschuldete Arbeitsleistung. Außerhalb der Arbeitszeit ging er seiner Nebentätigkeit nach. Er fuhr mit einem Lieferwagen von E.-H. in Richtung E.-Innenstadt. Er war auf dem Weg zu der Firma, für die er an diesem Tag eine Werbefahrt durchgeführt hatte. Dies räumte er in einem Gespräch mit der Beklagten am 16.09.2011 ein. Hier gab er erstmals an, dass er einen Antrag auf Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt hatte, ihm bereits ein Grad der Behinderung von 20 vom Hundert zuerkannt war und er hiergegen Widerspruch eingelegt hatte. Mit Schreiben vom 19.09.2011 stellte die Beklagte den Kläger von seiner Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 06.10.2011 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung des Klägers an. Dieser äußerte am gleichen Tag Bedenken, weil es an einer schriftlichen Verwarnung oder schriftlichen Verwarnung mit Androhung einer Entlassung fehle. Mit Schreiben vom 17.10.2011, das dem Kläger am 27.10.2011 zuging, kündigte die Be...