Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Dienstleistungsvertrag. Wet-Lease-Vereinbarung als Dienstleistungsvertrag. Keine Arbeitnehmerüberlassung bei Wet-Lease-Vereinbarung. Gestaltungsmissbrauch bei Verträgen zwecks Umgehen der Arbeitnehmerüberlassung. Verbot der Schaffung vollendeter Tatsachen bei rechtzeitiger Konsultation nach § 17 Abs 2 KSchG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Abgrenzung eines Dienstleistungsvertrags in der Form eines sog. gemischten Vertrages von Arbeitnehmerüberlassung ist die Analyse des Vertragsgegenstandes maßgeblich, so wie er sich in vertraglich vereinbarter und tatsächlicher Hinsicht darstellt und den sich daraus ergebenden Folgen für die Eingliederung und Weisungsbefugnis oder Aufsicht und Leitung bei dem Vertragspartner, der Gerät und Personal zur Verfügung gestellt bekommt.

2. Bei einer Wet-Lease-Vereinbarung in der Form des sog. ACMIO-Vertrags im Bereich der Luftfahrt handelt es sich um einen Dienstleistungsvertrag und nicht um Arbeitnehmerüberlassung.

3. Zur Abgrenzung zwischen zulässiger Vertragsgestaltung und Gestaltungsmissbrauch zur Umgehung von Arbeitnehmerüberlassung (hier verneint).

4. Zur Frage der Rechtzeitigkeit der Konsultation gemäß § 17 Abs. 2 KSchG.

 

Normenkette

GRCh Art. 16; EGV 1008/2008 Art. 1, 2 Nr. 25, Art. 13 Abs. 1; EU-VO 965/2012 Anhang III ORO.GEN.110 Buchst. a); RL 2008/104/EG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 5; RL 96/71/EG Art. 1 Abs. 3; AÜG § 1 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1; BGB §§ 133, 157, 613a Abs. 1; HGB § 557; InsO § 113; KSchG § 1 Abs. 2, § 17 Abs. 2; ZPO § 253 Abs. 2, § 256 Abs. 1, § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.03.2021; Aktenzeichen 17 Ca 7886/20)

 

Nachgehend

BAG (Teilurteil vom 11.05.2023; Aktenzeichen 6 AZR 482/21 (A))

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.03.2021 - 17 Ca 7886/20 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund betriebsbedingter Kündigung des Beklagten zu 1) beendet worden ist sowie darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund eines Betriebsübergangs oder aber aufgrund verbotener Arbeitnehmerüberlassung mit der Beklagten zu 2) besteht.

Der Beklagte zu 1) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Luftfahrtgesellschaft X. mbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte zu 2) ist eine Fluggesellschaft des M.-Konzerns mit Sitz in M.. Der Kläger war seit dem 01.03.2014 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 12.02.2014, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, bei der Schuldnerin als Kapitän für das Flugzeugmuster Dash Q400 beschäftigt. Ausweislich der zur Akte gereichten Abrechnung für den Monat Juli 2020 betrug das monatliche Gehalt des Klägers 6.188,38 Euro brutto. Die Abrechnung wies eine sonstige Einmalzahlung von 515,89 Euro aus, was einen Gesamtbruttobetrag von 6.704,07 Euro ergab.

Die Schuldnerin trat nicht eigenständig am Markt als Anbieter von Flugreisen gegenüber Endkunden auf, sondern betrieb Flüge im Wet-Lease und zwar als ACMIO (Aircraft, Crew, Maintenance, Insurance, Operation) bezeichnet. Beim Wet-Lease stellt der Betreiber eines Flugzeugs dieses neben Besatzung, Wartung und Versicherung für den Flugbetrieb und auf der Flugstrecke einer anderen Fluggesellschaft zur Verfügung, wobei Flugzeuge und Besatzung nach außen wahrnehmbar, etwa durch die Lackierung des Flugzeugs und die Uniformen des Kabinenpersonals, dem Auftraggeber zugeordnet sind und lediglich ein Hinweis auf den im Wet-Lease operierenden Dienstleister erfolgt. Über eigene Flugzeuge verfügte die Schuldnerin nicht. Diese leaste sie von Dritten, im sog. E.-Lease.

Mit diesem Geschäftsmodell war die Schuldnerin aus der Insolvenz der Air A.. PLC und Co. Luftverkehrs KG (im folgenden Air A..) hervorgegangen. Im Jahr 2008 war die Air C. Muttergesellschaft der Schuldnerin geworden. In der Folgezeit leaste die Schuldnerin jedenfalls 15 (nach Angaben des Klägers 20) Dash 8 Q400 Maschinen sowie 13 Airbusse im Wege des E.-Lease, sei es von Air A., sei es von der Deutschen M. AG (im Folgenden E. AG) bzw. Konzernunternehmen der M.. Die Komplementärin der Air A.. hatte Anfang 2017 die Anteile an der Schuldnerin übernommen. Nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Air A.. im August 2017 wurden die Geschäftsanteile an der Schuldnerin mit einem Anteilskauf- und Übertragungsvertrag vom 13.10.2017 an die M. Commercial Holding GmbH (im Folgenden M. GmbH) veräußert. Sowohl die Beklagte zu 2) als auch die M. GmbH waren 100%ige Tochtergesellschaften der E. AG. Zwischen der Beklagten zu 2) und der E. AG bestand ein Beherrschungsvertrag.

Am 25.10.2017 schloss die Beklagte zu 2) mit der Schuldnerin einen ACMIO Rahmenvertrag (im Folgenden ACMIO RV). In diesem hieß es u.a.:

"Dieser ACMIO RAHMENVERTRAG (dieser Vertrag) wird ... geschlossen

ZWISCHEN

(1) Luftfahrtges...

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