Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Betriebsübergangs bei einem Luftfahrtunternehmen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Luftfahrtunternehmen gehören die Flugzeuge zu den wesentlichen identitätsstiftenden Betriebsmitteln (vgl. EuGH 09.09.2015 - C-160/14 ). Sie bilden allerdings nicht allein den Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs. Die Identität der wirtschaftlichen Einheit wird auch geprägt durch die eingesetzten Piloten und die öffentlich-rechtlich erteilten Fluglizenzen und Genehmigungen.
2. Flugzeuge, Langstrecken, Mittel- und Kurzstrecken sind ebenso wenig wie Start- und Landerechte für sich selbständig abgrenzbare wirtschaftliche und organisatorische Betriebsteile. Bei den einzelnen Abflugstationen kommt es auf deren Ausgestaltung und Organisationsstruktur an.
3. Ist der dienstliche Einsatzort eines Piloten arbeitsvertraglich festgelegt, ist er im Rahmen einer Sozialauswahl mit den anderen Einsatzorten zugeordneten Piloten, zumal wenn diese ausschließlich im sog. Wet-Lease eingesetzt werden, nicht vergleichbar.
4. Eine Massenentlassungsanzeige ist nicht wegen fehlerhafter Angabe der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer von der Angabe nicht betroffen ist und sie keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur hat.
5. Für den Bereich des Massenentlassungsschutzes wird der Betriebsbegriff autonom ausgelegt (im Anschluss an EuGH 13.05.2015 - C-182/13).
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 17 Abs. 1-2; BGB § 613a
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.04.2018; Aktenzeichen 6 Ca 6857/17) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 17.04.2018 - 6 Ca 6857/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Der am 04.09.1968 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 26.02.1996 bei der Air C. Q. & Co. Luftverkehrs-KG (im Folgenden: Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin als verantwortlicher Flugzeugführer/Pilot beschäftigt. Unter § 4 seines Arbeitsvertrages vom 23.04.2008 heißt es auszugsweise wie folgt:
"1. Dienstlicher Einsatzort ist E..
2. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Wohnsitz so zu wählen, dass er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst an dem entsprechenden Einsatzort antreten kann."
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin.
Die Schuldnerin war die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands mit Sitz in C.. Von ihren Drehkreuzen in E. und C.-U. flog sie hauptsächlich Ziele in Europa, in Nordafrika und in Israel an. Bei ihr waren im August 2017 6.121 Beschäftigte tätig, davon 1.318 Piloten, 3.362 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Der Flugverkehr wurde mit den Flugzeugtypen der A 320-Familie und der A 330-Familie betrieben. Die A 320-Familie wurde hauptsächlich für die Mittel- und Kurzstrecke eingesetzt, die A 330-Familie hauptsächlich für die Langstrecke. Alle eingesetzten Flugzeuge waren geleast.
Seit 2016 flog die Schuldnerin nicht mehr ausschließlich im eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb, sondern auch im sog. Wet-Lease für die F. GmbH (im Folgenden: F.) und die Deutsche M. AG. Das Wet-Lease beinhaltet den Einsatz der Flugzeuge einschließlich Cockpit-Crew, Kabinenpersonal, Wartung und Versicherung. Es flogen bis zu 38 Flugzeuge im Wet-Lease, davon 32 Flugzeuge im Auftrag der F.. An den Stationen L., T. und I. wurde ausschließlich im Wet-Lease geflogen.
Gemäß dem "Tarifvertrag Personalvertretung für das Cockpitpersonal der Air C. Q. & Co. Luftverkehrs KG" (TVPV) war für die Piloten eine Vertretung gebildet (im Folgenden: PV Cockpit). Am 14.02.2017 schloss die Schuldnerin mit ihr einen Rahmen-Interessenausgleich zur Umstrukturierung der Air C. für das Cockpitpersonal. Darin heißt es, die Organisationsstruktur des Flugbetriebes müsse geändert werden. Es solle die Ausgliederung des Touristikgeschäfts, die Bereedung von Flugzeugen im Rahmen der mit der Deutschen M. Group (Deutsche M. AG, F. GmbH und B. Airlines AG) getroffenen Wet-Lease-Vereinbarung (ACMIO-Operation) und eine Neuausrichtung der verbleibenden Kapazitäten im Rahmen des Programms "New Air C." erfolgen. In der Anlage 1 zum Rahmen-Interessenausgleich heißt es auszugsweise weiter:
"§ 1
Die Zuordnung zur ACMIO-Operation ergibt sich bei ausschließlichen ACMIO-Stationen aus der entsprechenden Stationierung. An "gemischten Stationen" erfolgt eine individuelle Zuordnung erst, sobald die "dedicated crew" Operation aufgenommen wird. Mitarbeiter, die vor diesem Zeitpunkt an einer gemischten Station stationiert sind, werden bis dahin in beiden Operationen eingesetzt.
[...]
§ 6
Auch nach der Zuordnung der Mitarbeiter zur ausschließlichen Operation (ACMIO-Operation bz...