Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Regelung in Bezug auf zusätzlichen Gerichtsstand. Schadensersatzanspruch für Arbeitnehmer bei Auslandstätigkeit nach unwirksamer fristloser Kündigung. Verletzung von Rücksichtnahmepflichten als Grundlage für Schadensersatz. Unwirksamkeit einer einstufigen dreimonatigen Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen im Auslandsarbeitsverhältnis. Zustellung demnächst auch nach über vier Jahren nach Klageeinreichung bei schwieriger Auslandszustellung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Anwendungsbereich der Art. 21, 23 EuGVVO a.F. bzw. Art. 23, 25 EuGVVO n.F. werden die nationalstaatlichen Regelungen der §§ 38, 40 ZPO verdrängt.
2. Eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Arbeitsvertrag, die dem Arbeitnehmer über die nach dem 5. Abschnitt der EuGVVO gegebenen Gerichtsstände hinaus einen zusätzlichen Gerichtsstand im Bereich der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eröffnet, ist wirksam.
3. Ist in einem Auslandsarbeitsvertrag geregelt, dass der Arbeitgeber die auf die im Ausland geleistete Tätigkeit anfallenden Steuern trägt und ist ein Einsatz des Arbeitnehmers ausschließlich im Ausland und hier auch ausschließlich in einem bestimmten Land (Turkmenistan) vorgesehen, so dass das Arbeitseinkommen aufgrund der Anwendbarkeit des hierzu einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens bei regulärer Vertragsabwicklung in Deutschland nicht zu besteuern wäre, führt die von dem Arbeitgeber durch den Ausspruch einer unberechtigten fristlosen Kündigung zu vertretende Pflichtverletzung der nicht vereinbarungsgemäßen Vertragsabwicklung zu einem Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers in Höhe der nunmehr in Deutschland auf sein Arbeitsentgelt zu entrichtenden Steuern.
4. Der Steuerschaden ist nach dem Schutzzweck der Norm erstattungsfähig, wenn die Pflichtverletzung nicht allein in der Nichterfüllung des Beschäftigungsanspruchs liegt, sondern wie hier zusätzlich in der Verletzung von Rücksichtnahmepflichten, die sich aus der vertraglichen Regelung zur Steuertragungslast des Arbeitgebers im Ausland und dem erkennbar damit verfolgten Interesse ergeben, dem Arbeitnehmer bei vertragskonformer Abwicklung des Arbeitsverhältnisses über das Doppelbesteuerungsabkommen rechtmäßig eine Steuerbefreiung seiner Einkünfte in Deutschland zu ermöglichen. Denn diese im erkennbaren Interesse des Arbeitnehmers liegende Möglichkeit zur Steuerbefreiung seiner Einkünfte in Deutschland wird durch die vertragswidrige Nichtbeschäftigung im Ausland vereitelt, wenn dadurch die 183-Tage-Grenze des Doppelbesteuerungsabkommens unterschritten wird.
5. Eine qualifizierte einstufige Ausschlussfrist, die unmittelbar binnen einer dreimonatigen Frist die gerichtliche Geltendmachung erfordert, ist in einem der AGB-Kontrolle unterliegenden Arbeitsvertrag wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Das gilt speziell im Falle eines Auslandsarbeitsvertrages.
6. Liegen zwischen (rechtzeitigem) Klageeingang und Zustellung und damit Rechtshängigkeit vier Jahre und vier Monate, ist die Zustellung gleichwohl noch "demnächst" erfolgt im Sinne von § 167 ZPO, wenn die zeitliche Verzögerung dem Kläger nicht anzulasten ist, sondern allein auf die erheblichen Schwierigkeiten der Bewirkung einer Zustellung im Ausland (hier: Vereinigte Arabische Emirate) zurückzuführen ist.
Normenkette
EUVO 1215/2012 Art. 23, 25; ZPO §§ 38-40, 167, 286-287; BGB §§ 194-195, 199, 204 Abs. 1 Nr. 1, § 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1, §§ 276, 280 Abs. 1, § § 305 ff., §§ 307, 310 Abs. 4 S. 2; ArbGG § 64 Abs. 6
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.03.2019; Aktenzeichen 14 Ca 1541/14) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.03.2019 - Az.: 14 Ca 1541/14 - teilweise abgeändert und die Beklagte - unter Klageabweisung im Übrigen - verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 45.416,69 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 11.03.2014 zu zahlen.
II.
Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 14% und die Beklagte zu 86%. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
IV.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen; für den Kläger wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Ersatz eines Steuerschadens in Höhe eines zuletzt noch geltend gemachten Betrages von 45.886,90 € im Zusammenhang mit seiner im Jahr 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr am ausländischen Einsatzort in Turkmenistan erfolgten Beschäftigung und der dann in Deutschland erfolgten Heranziehung seines von der Beklagten erhaltenen Entgelts zur Einkommenssteuer.
Die Beklagte mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten in Dubai bietet Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Gas- und Öllagerstätten an.
Der Kläger ...