Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes für Luftverkehrsbetrieb mit Sitz im Ausland. Kein Betriebsübergang stillgelegter Standorte in Deutschland trotz Eigenständigkeit. Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige trotz fehlender Sollangaben
Leitsatz (amtlich)
1. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer iSv. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen LAG Hessen 25.06.2021 - 14 Sa 1225/20, juris).
2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.
3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten iSv. § 613a BGB bilden.
Normenkette
KSchG §§ 1, 17, 23-24; BGB § 613a; GG Art. 3, 12; ZPO § 97
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.02.2021; Aktenzeichen 13 Ca 5788/20) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.03.2021; Aktenzeichen 5 Ca 5833/20) |
Tenor
Die Berufungen der Kläger zu 1) bis 4.) sowie zu 5) bis 8) und zu 11) gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 22.02.2021 - 13 Ca 5788/20, 13 Ca 5789/20, 13 Ca 5790/20, 13 Ca 5792/20, 13 Ca 5756/20, 13 Ca 5757/20 und 13 Ca 5758/20 - sowie gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.03.2021 - 5 Ca 5833/20 - werden kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die betriebsbedingte Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse.
Die Kläger zu 1) bis 4.) sowie 5) bis 8) und 11) (im Folgenden: Kläger) sind Copiloten bzw. Flugkapitäne (Kläger zu 6) und 11)). Sie wurden von der Beklagten zu 2) im Zeitraum zwischen dem 01.03.2018 und dem 26.07.2019 - teilweise unter Anrechnung unterjähriger Vordienstzeiten bei einer anderen Konzerngesellschaft - mit dem "Einsatzort" am Flughafen B. und dem "Stationierungsort" X. eingestellt. Im Arbeitsvertrag war der Beklagten zu 2) das Recht zur Versetzung der Kläger an einen anderen zumutbaren Stationierungs- oder Einsatzort im In- und Ausland aus betrieblichen Gründen eingeräumt.
Bei der Beklagten zu 2) handelte es sich um eine ÷. Fluggesellschaft mit Sitz in T. bei X./×.. Alleingesellschafterin ist die S. Holdings PLC (iF: S.). Bei der Beklagten zu 1) handelt es sich um eine in N. registrierte Fluggesellschaft, deren alleinige Gesellschafterin die H. Holding Limited ist, deren Alleingesellschafterin S. ist.
Die Beklagte zu 2) betrieb mindestens 24 in ×. registrierte Flugzeuge des Musters Airbus A-320 und setzte diese von vier Basen aus ein (X., B., Q. und T.). Die Flugzeuge standen nicht in ihrem Eigentum. An ihrem Standort in B. beschäftigte die Beklagte zu 2) jedenfalls im September 2020 ca. 200 Mitarbeiter, davon ca. 75 Piloten. Diese - darunter auch die Kläger - begannen ihren Arbeitstag regelmäßig an ihrem Einsatzort B. und kehrten dorthin am Ende des Arbeitstags wieder zurück. Gelegentlich, insbesondere im Jahr 2018, kam es auch zu Einsätzen, bei denen die Kläger einen Flug von einem anderen Flughafen aus begannen und zunächst dorthin dienstlich anreisen mussten (sog. Proceeding). Eine Personalvertretung bestand nicht.
Von B. aus wurden bei der Beklagten zu 2) sieben Flugzeuge eingesetzt, die zumindest wegen der in X. durchgeführten Wartungen rotierend ausgewechselt wurden. Weiter hatte die Beklagte zu 2) in B. als Ansprechpartner für das Personal und Externe einen "Base Captain" eingesetzt. Wesentliche Personalentscheidungen über zB. Einstellungen und Kündigungen traf dieser nicht; er setzte aber zumindest Entscheidungen der Unternehmensleitung in "ad hoc-Maßnahmen" gegenüber dem Personal der Basis um. Die Beklagte zu 2) verfügte am Flughafen B. neben Parkplätzen über einen Schulungsraum und einen Crewraum mit Schreibtischen und Telefon- und Telefaxanschlüssen.
Ab März 2020 kam es wegen der Corona-Pandemie zu Störungen und Unterbrechungen im europäischen Flugverkehr. Ab Mai 2020 verhandelte die Beklagte zu 2) mit der Gewerkschaft ver.di zur Kostensenkung über den Abschluss eines sogenannten Eckpunktepapiers für ihre in Deutschland stationierten Arbeitnehmer (iF. "Eckpunktepapier", Anl. K3). Die Vereinbarung kam letztlich nicht zu Stande. Mit E-Mails vom 03.07.2020 (Anl. K4) und 04.07.2020 (Anl. K5) bot die Beklagte zu 2) sodann ihren Arbeitnehmern die Bedingungen des Eckpunktepapiers individual-vertraglich zur Ersetzung der bisherigen individuellen Verträge an, um die Schließung der deutschen Standorte zu vermeiden. Die Kläger akzeptierten dieses Angebot. In dem Eckpunktepapier heißt es unter anderem: "Ab dem 1. Juli 2020 wird M. das deutsche Arbeitsrecht auf alle in Deutschland direktangestellten Piloten von M. anwenden."
Ab dem 01.07.2020 erbra...