Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschlussfrist nach § 15 Abs. 4 AGG. Beginn der Ausschlussfrist. Dauertatbestand. Belästigung

 

Leitsatz (amtlich)

Sind die tatsächlichen Vorgänge, auf die eine Belästigung i. S. d. § 3 Abs. 3 AGG gestützt werden, bereits abgeschlossen, kann nicht von einem Dauertatbestand ausgegangen werden, bei dem die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG nicht mit dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens, sondern mit seiner Beendigung beginnt. Von einem Dauertatbestand zu unterscheiden sind Tatbestände, die bereits abgeschlossen sind und nur noch fortwirken. In diesen Fällen beginnt die Geltendmachungsfrist mit dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3, 7, 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 24.01.2008; Aktenzeichen 3 Ca 1997/07)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.09.2009; Aktenzeichen 8 AZR 705/08)

 

Tenor

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.01.2008 – 3 Ca 1997/07 – wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit ihrer am 11.06.2007 beim Arbeitsgericht Essen eingegangenen Klage begehren die Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Die Kläger, die türkische Staatsangehörige sind, sind bei der Beklagten als Kommissionierer im Lager F. zu einem monatlichen Bruttolohn von ca. 2.500,00 EUR beschäftigt. Der Kläger zu 4) hat zusätzlich zur türkischen Staatsangehörigkeit im Jahre 1999 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

Im Lager F. sind 40 bis 50 Arbeitnehmer beschäftigt, davon ca. 50 % ausländische Mitarbeiter.

Für die ausländischen Mitarbeiter stellt die Beklagte bei Grillfesten einen separaten Grill zur Verfügung, auf dem ausschließlich bei einem muslimischen Metzger erworbenes Fleisch gegrillt wird. Für die muslimischen Mitarbeiter am Lagerstandort F. hat sie einen Gebetsraum eingerichtet.

In einem beim Arbeitsgericht Essen unter dem Az 7 Ca 1038/07 geführten Kündigungsrechtsstreit des bei der Beklagten ebenfalls im Lager beschäftigten Mitarbeiters U. hat dieser mit Schriftsatz vom 20.03.2007 die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 5.100,00 EUR beantragt und dazu vorgetragen, mindestens seit Anfang 2006 seien zwei bis drei Innentüren der fünf auf der Herrentoilette im Lager befindlichen Einzelkabinen mit ausländerfeindlichen Beschriftungen versehen.

Die Toiletten im Lager werden vom Betriebsleiter nicht benutzt, denn im Betrieb der Beklagten existiert eine weitere Toilette für die kaufmännischen Mitarbeiter.

Anfang April 2007 hat die Beklagte veranlasst, dass die Beschriftungen in den Herrentoiletten beseitig werden.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 11.04.2007 haben die Kläger von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung wegen einer Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 3 AGG verlangt.

Die Kläger haben vorgetragen, mindestens seit Anfang 2006, zum Teil erheblich früher, hätten sich in mindestens zwei von fünf für die gewerblichen Arbeitnehmer vorgesehenen Herrentoiletten im Lager ausländerfeindliche Beschriftungen, zum Teil wohl in unterschiedlicher Handschrift, und außerdem ein Hakenkreuz befunden. Die Beschriftungen hätten unter anderem folgenden Inhalt gehabt:

„Scheiß Ausländer, ihr Hurensöhne, Ausländer raus, ihr Kanaken, Ausländer sind Inländer geworden”.

Bereits im September 2006 habe der Mitarbeiter U. den Niederlassungsleiter der Beklagten, Herrn T., auf diesen Umstand hingewiesen. Herr T. habe dazu nur gesagt, dass die Leute eben so denken würden. Im Januar/Februar 2007 habe der Kläger zu 2) ebenfalls gegenüber dem Niederlassungsleiter die Beschriftungen anlässlich eines Gesprächs über andere Dinge erwähnt und dazu geäußert, dass „ausländerfeindliche Beschriftungen” in der Toilette seien, die er „nicht korrekt” finde. Herr T. sei über diesen Umstand offensichtlich informiert gewesen, habe sich jedoch auf die Äußerung beschränkt, er wisse auch nicht, wer das mache. Die Kläger haben die Auffassung geäußert, die Beklagte habe das „AGG-Management” bzw. die „AGG-Inventur” verabsäumt. Sie habe nach Inkrafttreten des Gesetzes die Räumlichkeiten in ihrem Organisationsbereich auf diskriminierende Tatbestände, Beschriftungen, Bilder usw. prüfen müssen. Ihr sei sogar ein eigenes Verschulden vorzuwerfen, da sie es trotz der Beanstandungen eines Mitarbeiters unterlassen habe, die Beschriftungen zu entfernen. Anspruchserhöhend sei, dass die Beklagte die nach § 12 Abs. 2 AGG notwendigen Schulungen unterlassen und keine Beschwerdestelle unter Beteiligung des Betriebsrats eingerichtet habe. Bei den Betriebsräten seien zudem von sieben Mitgliedern lediglich drei geschult worden. Den Gesetzestext des AGG habe die Beklagte erst im März/April 2007, nachdem der erste Mitarbeiter sich wegen der Beschriftungen beschwert hatte, für wenige Tage ausgehängt.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu za...

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