Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Verdachtskündigung. Statthaftigkeit der Berufungsbegründung. Unerreichbarkeit einer Zeugenvernehmung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Unterschlagung einer im Eigentum des Arbeitgebers oder seines Auftraggebers stehenden Sache (hier: Sauerstoffgerät im Wert von zumindest 1.500,- €) stellt ebenso wie der dringende Verdacht einer solchen Tatbegehung an sich einen wichtigen Grund zur fristlosen (Tat- bzw. Verdachts-)Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar. Dem kündigenden Arbeitgeber obliegt allerdings der Nachweis der Tatbegehung bei der Tatkündigung bzw. der Nachweis der den dringenden Verdacht begründenden Tatsachen bei der Verdachtskündigung.
2. Fehlen im erstinstanzlichen Urteil Ausführungen zur Glaubwürdigkeit des maßgeblichen Belastungszeugen oder sind diese nicht schlüssig begründet worden, sondern wird begründungslos allein mit einem Wort pauschal die Glaubwürdigkeit attestiert, obwohl diese bereits erstinstanzlich ein Kernstreitpunkt der Parteien war und sich aufklärungsbedürftige Zweifel an der Glaubwürdigkeit durch ein naheliegendes Eigeninteresse des Zeugen und durch seine Bekundungen im Rahmen der erstinstanzlichen Vernehmung aufdrängen, entfalten die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen insoweit keine Bindungswirkung. Auf entsprechende Rüge im Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht die Feststellungen durch erneute Vernehmung des Zeugen selbst vorzunehmen.
3. Kann das Berufungsgericht keine erneute Feststellung mehr treffen, weil das angebotene Hauptbeweismittel - Vernehmung des Belastungszeugen - aufgrund dauerhafter Vernehmungsunfähigkeit des Zeugen unerreichbar ist, geht dies zu Lasten der beweispflichtigen Partei. Es kann dann nicht ersatzweise doch wieder auf die unvollständigen, weil die Frage der Glaubwürdigkeit offen lassenden Feststellungen des Arbeitsgerichts zurückgegriffen werden.
4. Bei über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus und auf absehbare Zeit fortdauernd attestierter Vernehmungsunfähigkeit eines Zeugen gilt das entsprechende Beweismittel als unerreichbar.
5. Liegen die Voraussetzungen für eine wirksame Verdachtskündigung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung allesamt vor und hat der Arbeitgeber erstinstanzlich erklärt, die Kündigung werde nur auf den Tatvorwurf, nicht aber auch auf den Verdacht gestützt, kann er von dieser Erklärung in der Berufungsinstanz wieder abrücken und sich auch auf die Verdachtskündigung berufen, soweit keine Präklusion seines hierfür zugrunde zu legenden Sachvortrages nach § 67 ArbGG entgegensteht.
6. Soweit beide Parteien jeweils die gerichtliche Auflösung nach §§ 9, 10 KSchG beantragen und damit ihre Einschätzung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Ergebnis übereinstimmend vorbringen, hat eine gerichtliche Prüfung des Auflösungsgrundes zu unterbleiben; die Arbeitsgerichte sind an die übereinstimmende Einschätzung der Parteien insoweit gebunden.
7. Auch unabhängig davon ist auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis gegen Abfindungszahlung nach §§ 9, 10 KSchG gerichtlich aufzulösen, wenn der kündigende Arbeitgeber leichtfertig ungeprüfte, ehrverletzende, für das Verfahren wesentliche und - wie sich dann herausstellt - nachweislich falsche Behauptungen im Kündigungsschutzverfahren zur Begründung der Kündigung vorbringt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Beweislast bei der Verdachtskündigung hat der Arbeitgeber inne.
2. Die bloße Bezugnahme auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen reicht für Verdachtskündigung nicht aus.
3. Die Berufungsbegründung muss erkennen lassen, inwieweit das erstinstanzliche Urteil in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unzutreffend ist und welche Folgen dies hat.
Normenkette
BGB § 626; KSchG §§ 1, 9-10; ZPO §§ 286, 520, 529; ArbGG § 67; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Krefeld (Entscheidung vom 12.05.2017; Aktenzeichen 2 Ca 1093/16) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 12.05.2017 - Az.: 2 Ca 1093/16 - teilweise abgeändert, soweit die Klage hinsichtlich der Kündigungsschutzanträge und des Auflösungsantrages abgewiesen wurde, und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beklagte an den Kläger in Höhe von 9.537,- € brutto mit Wirkung zum 30.08.2016 aufgelöst.
II.
Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und der Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3, die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche, fristlose und hilfsweise ordentlich zum 30.08.2016 erklärte Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 07.06.2016 sowie über beiderseits gestellte Auflösungsanträge.
Der Kläger, geboren am 10.09.1974 und ledig, war bei der Beklagten seit dem 01.01.2008 als Servicetechn...