Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßstab für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit des gezahlten Lohns im Bereich geringfügigter Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Bereich geringfügiger Beschäftigung ist zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit des gezahlten Lohns kein pauschaler Aufschlag vorzunehmen, um den Nettocharakter der empfangenen Zahlung auszugleichen und eine Vergleichbarkeit mit dem üblichen Brutto(stunden)lohn zu ermöglichen.
2. Zu den Anforderungen an die Sittenwidrigkeit einer vereinbarten "Tourenpauschale" für Begleitpersonen beim Bustransport behinderter Menschen.
3. § 2 Abs. 1 Nr. 8 NachwG bezweckt auch die Information der (geringfügig beschäftigten) Arbeitnehmer, dass ihnen überhaupt ein gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen zusteht.
Normenkette
BGB §§ 611, 138 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 24.07.2013; Aktenzeichen 6 Ca 7175/12) |
Nachgehend
Tenor
- Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.07.2013 - Az. 6 Ca 3175/12 - teilweise abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin (weitere) 24.614,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2013 zu zahlen.
- Die Berufung im Übrigen und die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 15 %, die Beklagte zu 85 %.
- Die Revision wird für die Beklagte zugelassen, für die Klägerin wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über ergänzende Lohnzahlungsansprüche vor dem Hintergrund der möglichen Sittenwidrigkeit des tatsächlich gezahlten Entgelts sowie Urlaubsabgeltungsansprüche.
Die 56 Jahre alte Klägerin war seit dem 30.08.2007 - mit einer etwa halbjährigen Unterbrechung zu Beginn des Jahres 2011 - als Busbegleitung beschäftigt. Die Arbeitsaufgabe der Klägerin bestand darin, während einer morgendlichen Tour (GSE T7) gemeinsam mit einem Busfahrer, Herrn B., und der Zeugin G. als weiterer Begleiterin 13 geistig und körperlich behinderte Personen an verschiedenen Zustiegspunkten abzuholen und zur GSE Nünningstrasse in Essen zu bringen; nachmittags waren die Personen dort wieder abzuholen und nach Hause zu fahren. Die Klägerin kümmerte sich im Wesentlichen um eine taubstumme Person. Sie wurde selbst auf beiden Touren von zu Hause abgeholt und auch wieder dorthin zurückgebracht. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde zunächst nicht geschlossen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin ab Beginn des Arbeitsverhältnisses zwei Tourpauschalen von jeweils 7,50 € pro Arbeitstag. Die Beklagte leistete Zahlungen nur bei erbrachter Arbeitsleistung. Entgeltfortzahlung für Ferien-, Brücken-, Feiertage, an denen keine Touren anfielen, oder bei Arbeitsunfähigkeit erhielt die Klägerin nicht; ebenso wenig wurde ihr bezahlter Erholungsurlaub gewährt. Für den Zeitraum zwischen dem 01.01.2009 und August 2012 vergütete die Beklagte der Klägerin insgesamt 10.272,50 €. Wegen der Höhe der monatlichen Zahlungen im Einzelnen wird auf Blatt 359 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen. Die Beklagte ist Mitglied des (Arbeitgeber-) Verbandes Nordrhein-Westfälischer Omnibusunternehmen e.V.. Diesem gehören nach eigenen Angaben aus dem Monat März 2013 450 der 718 privaten Omnibusunternehmen im Land Nordrhein-Westfalen an.
Am 13.07.2012 trafen die Parteien eine Vereinbarung folgenden Inhalts:
"Hiermit vereinbaren die oben aufgeführten Vertragsparteien einvernehmlich, dass das bestehende Arbeitsverhältnis bis zum 21.08.12 ordentlich abgerechnet wurde.
Sämtliche beiderseitigen Forderungen sind bis zum oben genannten Zeitpunkt abgegolten, sein sie bekannt oder unbekannt genannt oder ungenannt."
Am selben Tag schlossen die Parteien unter Nutzung eines von der Beklagten vorgelegten Formulars einen schriftlichen "Arbeitsvertrag Gleitzonenverhältnis", wegen dessen Inhalts auf Blatt 6 ff. der Gerichtsakte verwiesen wird und in dem es unter anderem heißt:
"1. Tätigkeitsbereich, Tätigkeitsvoraussetzungen und Arbeitszeit
a) Der Mitarbeiter wird vom Arbeitgeber als Busbegleitung beschäftigt. Er kann jedoch auch für alle sonstigen Arbeiten, die unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse notwendig sind, eingesetzt werden.
b) Der Mitarbeiter ist zur Verschwiegenheit über alle betrieblichen Angelegenheiten auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der Firma verpflichtet.
c) Die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit beträgt ca. 20,5 Wochenstunden.
Soweit die Schliesszeiten- Ferien- der Schulen und oder Werkstätten den zustehenden Jahresurlaub überschreiten, ruht während der Zeit das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Diese Zeit gilt als unbezahlte Freizeit und wird nicht vergütet. Das Unternehmen behält sich vor, den Einsatz neu fest zu legen.
Der Zeitpunkt des Urlaubs kann nur im Zusammenhang bzw. in Übereinstimmung mit den Ferien des Landes Nordrhein Westfalen in Anspruch genommen werden.
...
5. Tätigkeitsbeginn
Das Arbeitsverhältn...