Entscheidungsstichwort (Thema)
Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf 12 Sa 601/21 v. 15.12.2021
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.
2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit einem Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.
3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten i.S.v. § 613a BGB bilden. Insoweit handelt es sich um eine Betriebsstilllegung.
4. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen LAG Hessen 25.06.2021 - 14 Sa 1225/20, juris).
5. Unzulässigkeit einer Zahlungsklage wegen außerprozessualer Bedingung.
6. Fehlende Anwendbarkeit des KSchG auf eine Einheit, die zwar mit mehr als zehn Arbeitnehmern Arbeitsverträge abgeschlossen, diese Arbeitsverhältnisse aber nie in Vollzug gesetzt hat und daher nicht in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Dies gilt auch im Rahmen des § 24 KSchG.
7. Zur Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG (hier verneint).
8. Ein Betrieb i.S.d. MERL sowie des § 17 KSchG liegt nicht vor, wenn eine Einheit ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat. Dies gilt jdf. dann, wenn die betroffenen Arbeitnehmer bereits zuvor Gegenstand einer Massenentlassungsanzeige waren.
Normenkette
EUVO 1215/2012 Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1; EGV 593/2008 (Rom I-VO) v. 17.06.2008 Art. 3 Abs. 1, Art. 2, 5, 8 Abs. 1-2, Art. 10 Abs. 2; RL 98/59/EG; RL 2001/23/EG; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; BGB § 305 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1, §§ 133, 157, 611a Abs. 2, § 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1-3, § 17 Abs. 1, 3, §§ 23-24; ZPO §§ 265, 325; ROM-I-VO Art. 12 Abs. 1; BGB §§ 134, 241 Abs. 2, §§ 242, 293, 623; KSchG § 4
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.03.2021; Aktenzeichen 7 Ca 5910/20) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.04.2021; Aktenzeichen 2 Ca 5880/20) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.09.2021; Aktenzeichen 7 Ca 5910/20) |
Tenor
I.
Die Berufungen des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.03.2021 - 7 Ca 5910/20 -, das Urteil vom 19.04.2021 - 2 Ca 5880/20 - und das Schlussurteil vom 03.09.2021 - 7 Ca 5910/20 - werden zurückgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen, mit Ausnahme der auf Zahlung gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Anträge, für die die Revision nicht zugelassen wird.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 1), einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 2), die Frage eines Betriebsübergangs von der Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2) sowie über die Zahlung einer sog. Sektorzulage (Sektor Pay).
Die Beklagte zu 1) war ein Flugdienstleistungsunternehmen im S.-Konzern mit Sitz in Schwechat (Österreich). Zwischen ihr und dem am 23.11.1992 geborenen Kläger bestand seit dem 01.03.2018 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war als Co-Pilot (First Officer) an der Heimatbasis Düsseldorf beschäftigt. Der Kläger verdiente monatlich EUR 4.266,64 brutto. Unter dem 10.02.2018 schlossen der Kläger und die Beklagte zu 1) einen Dienstvertrag (iF.: Dienstvertrag), der ua. österreichisches Recht für anwendbar erklärte. Zur örtlichen Tätigkeit des Klägers enthielt der Vertrag folgende Regelung:
"Als Stationierungsort des Dienstnehmers ist Wien, als Einsatzort Düsseldorf vereinbart. Dem Dienstgeber bleibt es vorbehalten, den Dienstnehmer vorübergehend oder dauerhaft aus betrieblichen Gründen auch an einem anderen zumutbaren Stationierungs- und/oder Einsatzort im Inland und Ausland einzusetzen, wobei die Änderung des Stationierungs- und/oder Einsatzortes dem Dienstnehmer drei Monate im Vorhinein bekannt zu geben ist. Auf Anordnung des Dienstgebers ist der Dienstnehmer auch verpflichtet, seine Dienstleistungen auf Luftfahrzeuge im Ausland zu erbringen. [...]"
Das für die Beklagte zu 1) von einem externen Dienstleister betriebene Operations Control Center (OCC) nebst Einsatzplanung ("Rostering") befand sich in Wien (Polen), verschiedene Funktionsträger der Beklagten zu 1), etwa der Director of Operations und andere für den Flugbetrieb vorgeschriebene "nominated persons" saßen in Stuttgart. Die Beklagte zu 1) betrieb mindestens 24 in Österreich registrierte Flugzeuge des Modells Airbus A-320 von vier Basen aus (Wien, Düsseldorf, Palma ...