Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorrang firmenbezogener Sanierungstarifvertrag vor Flächentarifvertrag. Ablösung von Flächentarifvertrag durch unternehmerischen Sanierungstarifvertrag. Vorrang des Sanierungstarifvertrags bei individualvertraglicher Bezugnahme auf Flächentarifvertrag
Leitsatz (amtlich)
Ein Sanierungstarifvertrag, der als firmenbezogener Verbandstarifvertrag zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeberverband abgeschlossen worden ist, löst im Umfang seines Geltungsbereichs einen normativ geltenden Flächentarifvertrag auch dann ab, wenn im Arbeitsvertrag eine individualrechtliche Bezugnahmeklausel auf die "Tarifverträge für die Metall-, Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens" vereinbart worden ist.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 1, 3; BGB § 305 Abs. 1 S. 1; ZPO § 97 Abs. 1, § 256 Abs. 1, § 533
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 03.08.2022; Aktenzeichen 7 Ca 200/22) |
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 03.08.2022 - Az.: 7 Ca 200/22 - wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte ist ein Unternehmen in der Metallindustrie mit Hauptsitz in U. Sie unterhält weitere Standorte, unter anderem in L.. Dort ist der Kläger seit dem 01.08.2010 als CNC-Anlagenführer beschäftigt. Der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag vom 18.06.2010 enthält unter Ziffer 11 folgende Regelung:
"11. Auf das Arbeitsverhältnis finden im Übrigen die Tarifverträge für die Metall-, Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens, die Arbeitsordnung, deren Inhalt als rechtsverbindlich anerkannt wird, sowie die jeweils gültigen Betriebsvereinbarungen Anwendung."
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 6 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Kläger ist eingruppiert in die ERA-Entgeltgruppe 10, seine monatliche Bruttogrundvergütung beträgt 3.425,00 €.
Der Kläger ist Mitglied der IG Metall, die Beklagte ist Mitglied des Verbandes der Metallindustrie Niedersachsen e.V., des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V. (im Folgenden: METALL NRW) sowie des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Sachsen e.V. Diese Arbeitgeberverbände schlossen mit der IG Metall am 12.11.2020 einen unternehmensbezogenen Standort- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (im Folgenden "Sanierungstarifvertrag", Bl. 7R ff. d. A.). Der Kläger war als Mitglied der Tarifkommission am Abschluss dieses Tarifvertrages beteiligt und stimmte für den Abschluss des Sanierungstarifvertrages.
Im Sanierungstarifvertrag heißt es auszugsweise:
"Präambel
Die W. GmbH, ..., ist Mitglied der vorbenannten drei Arbeitgeberverbände. Mit Beschluss vom 01. Oktober 2020 hat das Amtsgericht U. als zuständiges Insolvenzgericht auf Antrag der Geschäftsführung der T. ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet. Aufgrund der andauernden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der T. soll für den Zeitraum ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der T. durch das Insolvenzgericht (§ 258 InsO) durch die Parteien der nachfolgende Standort- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag abgeschlossen werden. Ziel dieses verbandsbezogenen Tarifvertrages ist die Sicherung der Beschäftigung an den vier Standorten der T. in U., M. Q. und L.. ...
...
A.
Allgemeine Regelungen
§ 1 Geltungsbereich
1. Dieser Tarifvertrag gilt räumlich und fachlich:für die W. GmbH und deren Standorte U., M. Q., L. persönlich:Alle Arbeitnehmer der T. die Mitglied der IG Metall sind und auf deren Arbeitsverhältnis das BetrVG Anwendung findet.
B.
Beiträge der Arbeitnehmer
...
§ 10 Beiträge der Arbeitnehmer des Betriebs Bergisches Land (Q. und L.)
1. Für die Kalenderjahre 2021 bis 2025 entfällt die Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes gemäß § 2 Abs. 2 b. - T-ZUG (B) - des Tarifvertrages zum tariflichen Zusatzgeld (TVT-ZUG).
3. für die Kalenderjahre 2021 bis 2025 verringern sich die zusätzliche Urlaubsvergütung gemäß § 38 des Manteltarifvertrages (MTV) für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens sowie die Sonderzahlung gemäß § 2 des Einheitlichen Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens (ETV 13. ME) in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens jeweils wie folgt:
2021: um 30%
2022: um 30%
2023: um 25%
2024: um 20%
2025: um 20%
4. Für die Laufzeit dieses Tarifvertrages werden Mehrarbeitszuschläge gemäß § 33 des Manteltarifvertrages (MTV) für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens ab der 41. Stunde wöchentlicher Arbeitszeit gewährt; ...
5. Der Gesamtbetriebsrat und die T. werden nach Abschluss dieses Tarifvertrages unverzüglich eine Änderung der bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung Jubiläumsprämien vereinbaren, wonach die Gewährung der monatlichen Prämienzahlung für die Betriebe U. und W. in den Kalenderjahren 2021 bis 2025 entfällt und sich in den Betrieben Q. und L. (Bergisches Land) in den Kalenderjahren ...