Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des Eisenbahnverkehrsunternehmens für die Entziehung der Zusatzbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
1. Zuständig für die Entziehung der Zusatzbescheinigung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 Triebfahrzeugführerscheinverordnung (TfV) ist das Eisenbahnverkehrsunternehmen. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dem Eisenbahnbetriebsleiter des Eisenbahnverkehrsunternehmens steht insoweit keine eigenständige Entscheidungskompetenz zu.
2. Ein Ermessensnichtgebrauch macht die Entscheidung des Eisenbahnverkehrsunternehmens über die Entziehung einer Zusatzbescheinigung unwirksam. Gleiches gilt, wenn es an einer Dokumentation der für die Entscheidung maßgeblichen Gründe fehlt oder wenn die Entscheidung ohne eine hinreichende Aufklärung des Sachverhalts getroffen wird.
3. Beruft sich ein Eisenbahnverkehrsunternehmen im Kündigungsschutzprozess darauf, die Beschäftigung eines Triebfahrzeugführers sei ihm aufgrund der Entziehung der Zusatzbescheinigung nicht möglich, so ist die Wirksamkeit der Entziehung von den Gerichten für Arbeitssachen überprüfbar.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; TfV § 3 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 12.11.2021; Aktenzeichen 5 Ca 1138/21) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 12.11.2021 - 5 Ca 1138/21 - teilweise abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Triebfahrzeugführer weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
für Mai 2021 2.923,98 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 262,36 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 2.923,98 € vom 01.06.2021 bis zum 03.08.2021 und auf 2.661,62 € seit dem 04.08.2021,
für Juni 2021 2.923,98 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 2.923,98 € vom 01.07.2021 bis zum 03.08.2021 und auf 1.799,58 € seit dem 04.08.2021,
für Juli 2021 2.923,98 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 2.923,98 € vom 01.08.2021 bis zum 03.08.2021 und auf 1.799,58 € seit dem 04.08.2021,
für August 2021 2.923,98 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 1.799,58 € seit dem 01.09.2021,
für September 2021 2.923,98 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 1.799,58 € seit dem 01.10.2021,
für Oktober 2021 2.964,92 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 1.840,52 € seit dem 01.11.2021,
für November 2021 2.964,92 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 1.840,52 € seit dem 01.12.2021,
für Dezember 2021 2.964,92 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 1.840,52 € seit dem 01.01.2022,
für Januar 2022 3.064,92 € brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes von 1.124,40 € nebst Zinsen i. H. v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der europäischen Zentralbank auf 1.940,52 € seit dem 01.02.2022,
zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Zusatzbescheinigungen zum Triebfahrzeugführerschein, also die Zusatzbescheinigung der Klasse A für den Rangierverkehr und der Klasse B1 für den Personenverkehr wieder herauszugeben.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten der 1. Instanz haben der Kläger zu 30 % und die Beklagte zu 70 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 32 % und die Beklagte zu 68 % zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, ihre Verpflichtung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung, die Herausgabe der Zusatzbescheinigung nach der Triebfahrzeugführerscheinverordnung (TfV), die Zahlung von Verzugslohn und die Erstattung von Schulungskosten.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Eisenbahnverkehrsunternehmen. Der Kläger ist bei ihr seit dem Dezember 2017 als Triebfahrzeugführer am Einsatzort Neuss gegen eine monatliche Vergütung in Höhe von zuletzt 2.923,98 € brutto beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildet der schriftliche Arbeitsvertrag vom 28.11.2017 (Anlage K1 zur Klage, Bl. 15 ff. d. A.). ...