Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsanspruch. Arbeitsunfähigkeit. Erwerbsminderungsrente. ruhendes Arbeitsverhältnis. Verjährung und Verfall von Urlaubsansprüchen
Leitsatz (amtlich)
1) In einem Arbeitsverhältnis, das wegen des Bezugs von Erwerbsminderungsrente „ruht”, entstehen gesetzliche und tarifvertragliche Urlaubsansprüche.
2) Die Geltendmachung von Urlaubsansprüchen für die Vergangenheit ist nicht automatisch auf die letzten 15 Monate beschränkt.
Normenkette
BUrlG RL 2003 (88) EG § 7
Verfahrensgang
ArbG Essen (Urteil vom 28.09.2011; Aktenzeichen 6 Ca 1516/11) |
Tenor
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 28.09.2011 – 6 Ca 1516/11 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das arbeitsgerichtliche Urteil in Ziffer 1 klarstellend wie folgt formuliert wird:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 9.672,54 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.06.2011 zu zahlen.
2) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3) Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin Urlaubsabgeltung zu zahlen.
Die am 11.02.1959 geborene Klägerin war aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 23.10.2000 seit dem 20.11.2000 bei der Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 1.917,00 EUR. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des bei der Beklagten geltenden Manteltarifvertrags (Haustarifvertrag, im Folgenden nur noch „MTV” genannt) vom 16.03.2004 Anwendung. Dort heißt es u.a. wie folgt:
§ 8-Urlaub
„Jede/r Arbeitnehmer/in hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
Der Urlaub wird in längeren zusammenhängenden Abschnitten gewährt und genommen.
Der volle Urlaubsanspruch wird erstmalig nach 6-monatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben. Diese Wartezeit ist nur einmal zu erfüllen.
…
…
Der Urlaub beträgt bei Zugrundelegung einer Fünf-Tage-Woche:
für Arbeitnehmer/innen, die vor dem 1. April 2004 eingetreten sind
- bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres 27 Arbeitstage
- bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres 29 Arbeitstage
- ab Vollendung des 30. Lebensjahres 30 Arbeitstage
für Arbeitnehmer/innen, die am/nach dem 1. April 2004 eingetreten
sind, unabhängig von ihrem Lebensalter
- im 1. und 2. Jahr der Betriebszugehörigkeit 25 Arbeitstage
- im 3. und 4. Jahr der Betriebszugehörigkeit 27 Arbeitstage
- ab dem 5. Jahr der Betriebszugehörigkeit 30 Arbeitstage
…
…
Schwerbehinderte erhalten zu ihrem Erholungsurlaub einen Zusatzurlaub nach der gesetzlichen Regelung.
…
…
Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr ist nur dann statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des/der Arbeitnehmer/in liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.”
Wegen der weiteren Einzelheiten des Anstellungsvertrages der Parteien, der auf den MTV Bezug nimmt, und des MTV selbst wird auf Bl. 5 ff. und Bl. 41 ff. d.A. verwiesen.
Die Klägerin war ab dem 29.03.2006 arbeitsunfähig erkrankt. Nach dem Bezug von Krankengeld erhielt sie zunächst eine befristete Erwerbsminderungsrente und ab dem 01.04.2011 eine unbefristete Erwerbsminderungsrente. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 31.03.2011.
Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
Mit Schreiben vom 28.04.2011 forderte der spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte zur Zahlung von Urlaubsabgeltung auf. Die Beklagte zahlte ihr daraufhin auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch für die Jahre 2008 bis 2011 einen Betrag in Höhe von 5.664,10 EUR brutto, lehnte hingegen weitere Zahlungen insbesondere für die Jahre 2006 und 2007 ab.
Mit ihrer am 08.06.2011 beim Arbeitsgericht Essen anhängig gemachten Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und die Zahlung ausstehender Urlaubsabgeltung für die Jahre 2006 und 2007 sowie hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubs die Zahlung für die Jahre 2008 bis 2011 geltend gemacht. Die Klägerin hat unter Berücksichtigung von insgesamt 35 Urlaubstagen pro Jahr (einschließlich des gesetzlichen Schwerbehindertenzusatzurlaubs) einen Betrag in Höhe von 15.598,06 EUR brutto errechnet und sich hierauf die gezahlten 5.664,10 EUR brutto anrechnen lassen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.933,96 EUR brutto
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Anspruch der Klägerin für das Jahr 2006 verjährt wäre und eine rückwirkende Geltendmachung nur für 18 Monate in Betracht komme. Überdies stünden der Klägerin keine tarifvertraglichen Urlaubsansprüche zu; die Tarifvertragsparteien hätten im MTV ei...