Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung – Unkündbarkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Fall des Betriebsübergangs ist eine Kündigungsschutzklage auch isoliert auf die Unwirksamkeit der Kündigung gerichtet zulässig, ohne dass eine Feststellung des zum Kündigenden bestehenden Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden muss.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 04.08.2010; Aktenzeichen 6 Ca 1273/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 04.08.2010 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 30.03.2010 unwirksam ist.

Im übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für rechtsmängelfrei erachtet und einen (wegen tariflicher Unkündbarkeit des Klägers erforderlichen) wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB angenommen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Die Beklagte ist ein Unternehmen des C.-Konzerns. Seit März 2011 befindet sie sich in Liquidation. Der C.-Konzern besteht aus der C. Holding GmbH und derzeit fünf operativen Tochtergesellschaften, nämlich der C. Beratung GmbH (nachfolgend: C.), C. Technik GmbH, C. Service GmbH, der C. Software GmbH sowie C. Vertriebs- und Projekt GmbH (VP). Gesellschafter der Unternehmensgruppe sind die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die DAK-Unternehmen Leben, HEK, hkk, die Knappschaft und der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen. Der C.-Konzern ist Full-Service-Anbieter im IT-Markt der gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Gesellschafter von C. sind zugleich deren Kunden. Daneben hat der C.-Konzern in geringem Umfang weitere Krankenkassen als Kunden.

Die Beklagte übernahm mit ihrer Gründung im Jahr 2008 die J. West eG. Diese war ihrerseits eine privatrechtliche Ausgründung der Abteilung/Arbeitsgemeinschaft J. West des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalen (LV BKK) und hatte zum 01.01.2000 die damals in der Abteilung J. West des LV BKK beschäftigten Mitarbeiter übernommen, darunter den Kläger.

Der am 22.05.1953 geborene Kläger war zum 01.04.1982 in die Dienste des LV BKK getreten. Der Kläger ist verheiratet und hat einen 25jährigen Sohn, der behindert ist und von seinen Eltern betreut wird.

Der Kläger war in der Funktion des Bereichsleiters bei der Beklagten an deren Standort F. im Bereich „Fachberatung” beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem LV BKK fanden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit und vertraglicher Bezugnahme der BAT und der diesen übernehmende BAT/BKK (§ 2) sowie die ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Anlässlich des Übergangs zur J. West eG wurde den Beschäftigten im Überleitungstarifvertrag die uneingeschränkte Fortgeltung des BAT/BKK zugesagt. Am 15.11.2004 kam es bei der J. West eG zum Abschluss eines Firmentarifvertrages (FirmenTV-J.). Dieser schreibt in § 23 Abs. 2 die Unkündbarkeitsregelung des § 53 Abs. 3, § 55 BAT fort. § 23 Abs. 3 FirmenTV-J. schließt Änderungskündigungen zum Zwecke der Herabgruppierung aus. Zum 01.01.2010 wurden für sämtliche Unternehmen des C.-Konzerns und so auch für die Beklagte ein Überleitungstarifvertrag sowie ein Manteltarifvertrag geschlossen (MTV-C.). In § 10 MTV-C. ist bestimmt, dass die Beschäftigten einer Gesellschaft vorübergehend in der Betriebsstätte eine anderen Gesellschaft eingesetzt werden können. Im MTV-C. ist ein Sonderkündigungsschutz („tarifliche Unkündbarkeit”) nicht mehr vorgesehen.

Bei der Beklagten existierten – neben dem administrativen Bereich Postwesen/ Telefonvermittlung – die Bereiche „KV-Dienste” (Beitragseinzug [zu Ende März 2010 endgültig aufgegeben]), „Informatik” (Administration der von den Kunden angemieteten Datenleitungen bis zu den Anwenderarbeitsplätzen der Kunden [Standardoberfläche, Software]) und die „Fachberatung”, dem Einsatzfeld des Klägers. Die Tätigkeit der Fachberatung bestand im Wesentlichen in der über das Ticketsystem dem einzelnen Mitarbeiter zugeteilten Bearbeitung von Anfragen, Störmeldungen und anderen Anliegen des Kunden (Krankenkasse), namentlich der Beratung, Unterstützung und Behandlung von Fehlern in der betreuten Software für die Basissoftware ISKV bzw. iskv 21 c sowie weiterer Produkte, ferner in der Durchführung von Schulungen bei den Kunden insbes. bei Einführung ergänzender Proukte (zB. Wilken-Software Finanzbuchhaltung) und in der Erstellung von Informationen.

Die Beklagte unterhielt neben ihrem Hauptbetrieb in F. die Standorte L., N. und I.. Zum 30.06.2009 schloss sie den Standort L. mit ca. 63 Arbeitnehmern, im Laufe des Jahres 2009 die beiden anderen Standorte. Am Betriebssitz F. unterhielt sie Rechenzentren in der L. straße und C. straße. Für die dorti...

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