Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit pauschaler Vergütungsregelung für Mehrarbeit bei erkennbar tatsächlich umfasster Arbeitszeit. Kein Grundsatz der automatischen Vergütung von Überstunden. Vergütungserwartung von Fahrtzeiten aufgrund objektiven Maßstabs. Keine Vergütungserwartung des besserverdienenden Arbeitnehmers oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze für Fahrtzeiten. Kein Ausschluss des Vergütungsanspruchs bei Verstoß gegen § 3 ArbZG
Leitsatz (amtlich)
1. Eine die pauschale Vergütung von Überstunden regelnde Klausel ist nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen.
2. Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankommt. Dies gilt auch für Fahrtzeiten, die aufgrund ihrer Fremdnützigkeit Teil der geschuldeten Arbeitsleistung sind.
3. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus der Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehlt regelmäßig die objektive Vergütungserwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleistung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit. Dies gilt allerdings nicht, soweit die gesetzliche Höchstarbeitszeit im Ausgleichszeitraum nach § 3 ArbZG überschritten ist.
Normenkette
BGB § 612; ArbZG § 3; BGB § 421
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Entscheidung vom 10.03.2020; Aktenzeichen 2 Ca 2043/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 10.03.2020 - 2 Ca 2043/19 - abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 26.442,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.01.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
- Der Kläger hat 77 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen, die Beklagten haben 23 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Die Revision wird sowohl für den Kläger als auch für die Beklagten zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im beendeten Arbeitsverhältnis über Überstundenvergütung.
Die Beklagten betreiben Autowerkstätten. Die Öffnungszeiten der Filialen sind Montag bis Freitag von morgens 7:30 Uhr bis abends 19:00 Uhr sowie am Samstag von 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr.
Der Kläger wurde mit Wirkung zum 01.07.2002 bei der Beklagten zu 2. als Gebietsverkaufsleiter eingestellt. Das monatliche Bruttogrundgehalt des Klägers betrug zuletzt 6.657,08 € (vgl. Gehaltsabrechnung für November 2019, Anlage K 15, Blatt 387 der Akte). Darüber hinaus erhielt der Kläger eine jährliche Prämie sowie einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung. Das Gehalt erhielt der Kläger laut Verdienstabrechnung zuletzt von der Beklagten zu 1. Der Kläger war in der 40-Stunden-Woche beschäftigt. Als Gebietsverkaufsleiter oblag dem Kläger die Betreuung von 12 Filialen in der Region L., C. H. und E., die der Kläger von seinem Wohnsitz aus anfuhr. Bürotätigkeiten führte der Kläger im Home Office aus. Der Kläger berichtete an den Regionalleiter Herrn W., der bei der Beklagten zu 1. beschäftigt war. Die Mitarbeiter in den einzelnen Filialen waren dem Kläger fachlich unterstellt und sind bei der Beklagten zu 2. beschäftigt.
In dem zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2 geschlossenen Anstellungsvertrag heißt es unter anderem wie folgt:
"§ 2 Gehalt
...
Mit dem Gehalt ist etwaige Mehrarbeit, soweit sie gelegentlich oder regelmäßig anfällt, abgegolten. ..."
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des schriftlichen Anstellungsvertrages wird auf die Anlage K 1 (Blatt 56ff. der Akte) Bezug genommen.
Der Kläger erfasste seine wöchentlichen Einsätze in dem von den Beklagten zur Verfügung gestellten Programm AWIS, wobei die Einzelheiten der Aufzeichnung der Arbeitszeit sowie die rechtliche Bewertung zwischen den Parteien streitig sind. Der Kläger hatte über sein Firmenlaptop Zugriff auf das Programm AWIS, welches sowohl von der Beklagten zu 1. als auch von der Beklagten zu 2. genutzt wurde. Die Eintragungen im System AWIS zeigen für die datumsmäßig benannten einzelnen Arbeitstage in Form von Balken den Beginn sowie das Ende der täglichen Arbeitszeit, wobei schlagwortartig Art und Ort der Tätigkeit angegeben sind (z.B. "Büro zu Hause", "Büro L.", "Schulung Car Garantie"). Hinsichtlich der Einzelhe...