Entscheidungsstichwort (Thema)

Konsultationsverfahren vor anzeigepflichtigen Entlassungen gem. § 17 KSchG. Informationspflicht des Arbeitgebers zur Anhörung des Betriebsrats bzw. der Personalvertretung vor Ausspruch der Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat gemäß Abs. 2 Satz 1 KSchG rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich zu unterrichten. Die Unterrichtungspflicht bezieht sich insbesondere auf die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

2. Eine Kündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausführlich genug nachkommt. Der Inhalt der Unterrichtung ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben.

 

Normenkette

RL 98/59/EG (MERL) v. 20.07.1998 Art. 3 Abs. 1; KSchG § 17 Abs. 1-2; BetrVG § 102 Abs. 1, § 117 Abs. 2; TV PV Cockpit § 63 Fassung: 2012-10-31

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 01.10.2021; Aktenzeichen 7 Ca 1882/21)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.10.2021 - 7 Ca 1882/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen ordentlichen Kündigung, die Erteilung eines Zwischenzeugnisses und die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine aus der früheren I. Fluggesellschaft mbH hervorgegangene, international agierende deutsche Fluggesellschaft mit Sitz in l.-M.. Sie beschäftigte (Stand 16.04.2021) 2.151 Mitarbeiter, wovon 527 dem Cockpitpersonal angehörten. Auf Grundlage des zwischen der Beklagten und der Vereinigung Cockpit e. V. geschlossenen Tarifvertrags für das Cockpitpersonal vom 31.10./26.11.2012 (im Folgenden: TV PV Cockpit) ist bei ihr eine Personalvertretung für das Cockpitpersonal gebildet. Entsprechendes gilt für das Kabinenpersonal. Es besteht zudem eine Gesamtvertretung Bord nach § 28 TV PV Cockpit. Der im Juni 1993 geborene, ledige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 03.09.2018 als First Officer (Copilot) zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von zuletzt 6.216,29 € beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildet der Arbeitsvertrag vom 31.01.2018 (Anlage K1, Bl. 36 ff. d. A.), wobei zum 01.06.2020 eine Umstationierung nach E. stattfand (Anlage K 2, Bl. 41 d. A.). Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag Nr. 6 für das Cockpitpersonal der U. GmbH vom 05.03.2021 (im Folgenden: MTV Cockpit) Anwendung.

In einer Protokollnotiz zum MTV Cockpit, ebenfalls datierend auf den 05.03.2021, (Bl. 690 f. d. A.) hat sich die Beklagte verpflichtet, bis zum 31.12.2022 einen Personalbestand von mindestens 370 Köpfen im Bereich des Cockpitpersonals beizubehalten.

Am 05.03.2021 schloss die Beklagte mit der Gesamtvertretung Bord einen Interessenausgleich (Anlage K 9, Bl. 98 ff. d. A.), der auszugsweise folgenden Inhalt hat:

"§ 2 Ausgangslage

...

Um den Fortbestand der U. zu ermöglichen, ist eine Restrukturierung des Flugbetriebes der U. und dabei insbes. eine Verkleinerung der U.-Flotte zur Steigerung der Produktivität pro Flugzeug und zur Minimierung der erheblichen Verluste aus der Saisonalität aus Sicht von U. unvermeidbar. ...

§ 3

Geplante Betriebsänderung und Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse

U. wird ihre Flotte auf 22 Flugzeuge reduzieren und sechs ihrer derzeit unterhaltenen Stationen vollständig und dauerhaft schließen, d. h. an diesen Stationen wird kein U.-Fluggerät mehr stationiert. Durch die Flottenreduzierung, Stationsschließungen und Neustrukturierung des Streckennetzes ergibt sich ein Personalüberhang über alle Mitarbeitergruppen, die in den Geltungsbereich dieses Interessenausgleichs fallen.

1. Geplante Maßnahmen mit Auswirkungen auf das fliegende Personal

1.1. Flottenreduzierung auf 22 A/C

Die U. wird ihre derzeit betriebene Flotte schrittweise jeweils zu den nächst möglichen Zeitpunkten auf 22 Flugzeuge (A/C) reduzieren (nachfolgend: die Flottenreduzierung). Die Flottenreduzierung erfolgt teilweise durch Verschiebung der Flugzeuge innerhalb der U.-Gruppe, im Übrigen durch Ausflottung (Phase-Outs).

Die Zielgröße von 22 Flugzeugen (einschließlich der zur Zeit für F. im Wet-Lease betriebenen zwei A/C) wird im Sommer 2022 erreicht werden.

Vorübergehende Unterschreitungen der Zielgröße aus technischen Gründen (im Zuge von Aus- und Umflottungsabläufen) bleiben unberührt.

1.2. Stationsschließungen; Verbleib von fünf Stationen; Neustrukturierung Streck...

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