Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Eingruppierungsfeststellungsklage. Keine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung bei Konzernprivileg. Fortgeltung des Tarifvertrags des alten Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang. Formulierung "jeweils einschlägiger Tarifvertrag" als große dynamische Bezugnahmeklausel. Auslegung von Bezugnahmeklauseln
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB werden die Normen eines beim ehemaligen Betriebsinhaber angewendeten Tarifvertrages Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem neuen Betriebsinhaber. Voraussetzung ist, dass der Tarifvertrag im Zeitpunkt des Betriebsübergangs in Kraft getreten war. Diese Transformation des bisherigen Tarifregimes findet seine Grenzen, wenn Bezugnahmeklauseln auf einen Tarifvertrag vereinbart worden sind.
2. Für die Frage der Reichweite einer Bezugnahmeklausel ist deren Auslegung entscheidend. Maßgeblich ist, ob die Klausel als Tarifwechselklausel verstanden werden kann. Denn die Rechtsfolge eines Tarifwechsels kann zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags ausdrücklich vereinbart werden. Die Vertragsparteien bestimmen mit ihrer vertraglichen Abrede den Umfang der jeweiligen In Bezugnahme. Sie können für den Fall einer durch einen Verbandswechsel geänderten Tarifbindung des Arbeitgebers die Gleichstellung des Arbeitnehmers auf der Grundlage des dann einschlägigen Tarifvertrages sicherstellen.
3. Mit der Formulierung "die für den Betrieb jeweils einschlägigen Tarifverträge" wird dynamisch auf die für den jeweiligen Arbeitgeber gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG normativ geltenden Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung verwiesen. Es handelt sich um eine große dynamische Bezugnahmeklausel.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1; UmwG § 324; ZPO § 256; AÜG § 1; AktG § 18
Verfahrensgang
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 08.07.2020; Aktenzeichen 3 Ca 331/20) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 08.07.2020, Aktenzeichen 3 Ca 331/20 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen der Eingruppierung darüber, in welche Gruppenstufe der Entgeltgruppe 3 des Entgelttarifvertrages für Arbeitnehmer der Deutsche Post AG (im folgenden ETV-DP AG) der Kläger zuzuordnen ist. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Kläger nach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte aufgrund seiner Tätigkeit als Paketzusteller in die Entgeltgruppe 3 ETV-DP AG einzugruppieren ist. Streitig ist jedoch die Gruppenstufe. Der Kläger legt Gruppenstufe 3, die Beklagte Gruppenstufe 0 zugrunde.
Ursprüngliche Arbeitgeberin des Klägers auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 09.10.2014 (Bl. 5 d. A.) war die Beklagte. Nach diesem Arbeitsvertrag war der Kläger befristet vom 13.10.2014 bis zum 30.11.2014 als Paketzusteller tätig. Diese Befristung wurde bis zum 31.03.2015 verlängert. Unternehmerischer Schwerpunkt der Beklagten ist die Zustellung von Briefen und Paketen in Deutschland. Zur Erfüllung dieses Zwecks sind Niederlassungen eingerichtet. Zu Beginn des Jahres 2015 gab es 49 Niederlassungen "BRIEF", seit dem 01.01.2019 40 Niederlassungen "BRIEF". Diese Untergliederung regelte der Tarifvertrag Nr. 4 vom 12.06.2019. Die Beklagte ist tarifgebunden. Einer der anwendbaren Tarifverträge ist der ETV-DP AG. Dieser galt bis zum 30.06.2019 in der Fassung des ETV-DP AG Nr. 196 vom 12.06.2019, danach galt die Fassung ETV-DP AG Nr. 200.
Ab dem 01.04.2015 arbeitete der Kläger auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 6 ff. d. A.) als Paketzusteller bei der E. E. F. GmbH. Die E. E. GmbH F. war eine Tochtergesellschaft der E. E. GmbH. Diese wiederum war eine Beteiligungsgesellschaft der Beklagten. Die E. E. GmbH F. wurde im Januar 2015 als eine von 49 E. E. Regionalgesellschaften gegründet. Hintergrund war, dass die Beklagte das Geschäftsfeld "Paketdienst Inland für Geschäftskunden" auf rechtlich selbständige Tochtergesellschaften ausgegliedert hat. Hierzu hatte die Beklagte die Deutsche Post Euro Express GmbH & Co. OHG gegründet, die wiederum nach einer Umfirmierung zuerst unter E. Vertriebs GmbH, dann unter der Bezeichnung E. Paket GmbH agierte. Die Beklagte gliederte den Bereich Paketdienstleistungen Geschäftskunden dann auf diese Gesellschaft aus, die die Beklagte ihrerseits wiederum mit Beförderungsdienstleistungen von Geschäftskundenpaketen beauftragte. Nachdem dieser Vertrag durch die E. Paket GmbH gekündigt worden war, wurde die Beklagte nur noch mit der Zustellung von Geschäftskundenpaketen in ländlichen Gebieten beauftragt. Für die Zustellung in städtischen, den sogenannten "kompakten" Gebieten beauftragte die E. Paket GmbH die E. E. GmbH. Diese wiederum wickelte den Auftrag über ihre Regionalgesellschaften ab.
Um diese Aufgabe zu erledigen rekrutierten die E. E. Regionalgesellschaften neue Mitarbeiter, stellten teilweise aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten ein, darunter den Kläger. Die Region...