Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Abbruchs der begleitenden Therapie im Rahmen einer Selbsthilfegruppe von anonymen Alkoholikern

 

Leitsatz (amtlich)

Die Entscheidung des Arbeitnehmers, nach einer erfolgreichen Entziehungskur die zunächst aufgenommenen Besuche in einer Selbsthilfegruppe von anonymen Alkoholikern abzubrechen, weil er sich hiermit überfordert fühlt, gehört zum privaten Lebensbereich. Hiermit verletzt er keine Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Selbst wenn er dem Arbeitgeber, der einen solchen Besuch einer Selbsthilfegruppe verlangt, vortäuscht, er setze diese Besuche fort, rechtfertigt dies keine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung.

 

Normenkette

KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 04.10.1996; Aktenzeichen 3 Ca 1368/96)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 04.10.1996 – 3 Ca 1368/96 – abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.02.1996 nicht aufgelöst ist und über den 31.07.1996 hinaus fortbesteht.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Streitwert: 10.092,– DM.

 

Tatbestand

Der am 22.11.1955 geborene Kläger ist seit dem 17.12.1984 bei der Beklagten, die ca. 400 Arbeitnehmer beschäftigt, als Lagerarbeiter tätig, und zwar zu einer monatlichen Vergütung von 3.364,– DM brutto.

Mit Rücksicht darauf, daß der Kläger alkoholkrank war und u.a. auch deshalb öfter fehlte bzw. zu spät kam, kündigte die Beklagte zunächst das Arbeitsverhältnis am 24.07.1989 zum 08.08.1989. In dem daraufhin vom Kläger angestrengten Kündigungsschutzrechtsstreit – 5 Ca 3681/89 Arbeitsgericht Düsseldorf – schlossen die Parteien einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis zwar durch diese Kündigung beendet wurde, mit Wirkung vom 25.10.1989 jedoch ein neues Arbeitsverhältnis unter Anrechnung der alten Betriebszugehörigkeit begründet wurde.

In der Folgezeit erhielt der Kläger folgende Abmahnungen:

  1. Am 18.02.1992 (Bl. 21 d. A.) wegen Unpünktlichkeit in mehreren Fällen, größtenteils wenige Minuten betreffend sowie wegen eines Vorfalls, wegen dem er die Arbeit vorzeitig verlassen hatte,
  2. am 17.08.1992 (Bl. 23 d. A.) wegen verspäteter Krankmeldung,
  3. am 22.06.1993 (Bl. 25 d. A.) wegen verspäteter Krankmeldung und
  4. am 01.08.1995 (Bl. 27 d. A.) wegen verspäteter Krankmeldung.

Seine Fehlzeiten betrugen:

1992 = 35,90 %,

1993 = 26,36 %,

1994 = 41,20 % und

1995 = 56,01 %, bei Nichtberücksichtigung von zwei Augenoperationen = 37,20 %.

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 01.08.1995 (Bl. 29 f. d. A.) unter anderem folgendes mit:

„Unserer Ansicht nach besteht ein Zusammenhang zwischen den zahlreichen arbeitsvertraglichen Verfehlungen, den hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten und Ihren Alkoholproblemen. Dies wird auch durch unsere Werksärztin bestätigt.

Wir sind nicht bereit, Ihre bestehenden Alkoholprobleme und die damit eintretenden negativen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis weiter hinzunehmen.

Wir fordern Sie hiermit auf, sich schnellstmöglich (spätestens bis zum 31.08.1995) in eine entsprechende Behandlung zur Auskurierung Ihrer Alkoholprobleme zu begeben und uns den Behandlungsbeginn und die voraussichtliche Dauer der Behandlung schriftlich (auch spätestens bis zum 31.08.1995) nachzuweisen. Auch den Abschluß der Behandlung haben Sie uns unverzüglich schriftlich mitzuteilen.

Hier empfehlen wir Ihnen, sich zwecks der weiteren Vorgehensweise mit Frau H., Sozialdienst der AOK in R., M., R., Tel.: …, in Verbindung zu setzen. Selbstverständlich stehen Ihnen bei Problemen oder Fragen als Ansprechpartner auch Frau S. und Herr W. zur Verfügung.

Sollten Sie die Behandlung zur Auskurierung Ihrer Alkoholprobleme nicht bis zum 31.08.1995 angetreten haben, werden wir das Arbeitsverhältnis aufgrund der o.g. krankheitsbedingten Fehlzeiten kündigen.”

Nunmehr unterzog der Kläger sich einer stationären Entgiftungsbehandlung, und zwar in der Rheinischen Landes- und Hochschulklinik Düsseldorf für die Zeit vom 28.08. bis 08.09.1995.

Nachdem der Kläger hierüber eine Bescheinigung des Landschaftsverbandes Rheinland vom 20.09.1995 (Bl. 32 d. A.) vorgelegt hatte, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 22.09.1995 (Bl. 34 f. d. A.) folgendes mit:

„Diese Bescheinigung ist nicht ausreichend.

Wir fordern Sie nochmals auf, uns spätestens bis zum 29.09.1995 einen entsprechenden Nachweis über den Abschluß der o.g. Behandlung vorzulegen. Aus diesem Nachweis muß auch hervorgehen, daß Ihre Alkoholprobleme mit dem Abschluß der Behandlung auskuriert sind. Sollten im Anschluß an die o.g. stationäre Entgiftungsbehandlung weitere medizinische oder therapeutische Maßnahmen erforderlich sein, haben Sie uns auch hier die erforderlichen Maßnahmen und die genaue Dauer der Maßnahmen spätestens bis zum 29.09.1995 schriftlich mitzuteilen.

Sollten die entsprechenden Bescheinigungen nicht bis zum 29.09.1995 vorliegen, werden wir – wie berei...

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