Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertungsbandbreite bei Flugzeugen und Piloten als identitätsprägende Elemente eines Betriebes i.S.d. § 613a BGB. Keine wirtschaftliche und organisatorische Einheit bei einzelnen Flugzeugen, Start- und Landerechten sowie Abflugstationen eines Luftverkehrsunternehmens im Sinne eines Teilbetriebsübergangs. Prüfung der Rechtzeitigkeit der Konsultation mit dem Betriebsrat unter Beachtung des Unionsrechts. Betriebsbegriff und Angabe der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer in der Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (amtlich)
1. Flugzeuge sind als sächliche Betriebsmittel für ein Luftfahrtunternehmen unerlässlich und sie gehören deshalb zu den wesentlichen identitätsprägenden Betriebsmitteln. Der Einsatz der Flugzeuge macht aber bei wertender Betrachtungsweise trotz des enorm hohen finanziellen Wertes dieser Betriebsmittel nicht allein den Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs aus. Um die Maschinen einsetzen zu können, bedarf es deshalb auch des Einsatzes speziell ausgebildeter Piloten. Insoweit sind für den Betrieb auch die Anzahl und die Befähigung der eingesetzten Piloten von erheblicher und identitätsstiftender Bedeutung.
2. Flugzeuge, Langstrecken, Mittel- und Kurzstrecken sind ebenso wenig wie Start- und Landerechte für sich selbständig abgrenzbare wirtschaftliche und organisatorische Betriebsteile. Ist der gesamte Flugbetrieb im Wesentlichen zentral organisiert, ohne dass vor Ort eine Leitung existiert, die wesentliche Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, so handelt es sich bei den Abflugstationen auch nicht um Betriebsteile.
3. Für die Frage, ob die Konsultation des Betriebsrats "rechtzeitig" im Sinne "rechtzeitig" im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) und § 17 Abs. 2 KSchG erfolgt, ist allein entscheidend, dass der Arbeitgeber nicht durch den Ausspruch von Kündigungen unumkehrbare Fakten schafft.
4. Eine Massenentlassungsanzeige ist nicht wegen fehlerhafter Angabe der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer von der Angabe nicht betroffen ist und sie keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur hat.
5. Für den Bereich des Massenentlassungsschutzes wird der Betriebsbegriff autonom ausgelegt.
Normenkette
KSchG §§ 1, 17 Abs. 1-2; BGB § 613a Abs. 1; BetrVG § 102; TV Cockpit § 74 Abs. 1; TV Kabine § 74 Abs. 1; BetrVG § 117 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.04.2018; Aktenzeichen 13 Ca 6961/17) |
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. April 2018 - 13 Ca 6961/17 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Kündigungsschutzlage und auf die Zahlung von Vergütung für die Monate April bis Juli 2018 richtet.
II.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Zusammenhang mit einer Insolvenz sowie über Vergütungsansprüche.
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. Q. & Co. M. KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C.. Der Kläger war seit dem 01.01.1993 bei der Schuldnerin bzw. deren Rechtsvorgängerin als Pilot (Kapitän) beschäftigt. Die Höhe der zuletzt gezahlten monatlichen Vergütung ist zwischen den Parteien streitig. Grundlage der Tätigkeit des Klägers war der "Rahmenvertrag für Piloten" vom 14.03.2002, Bl. 46 ff. d. A.. In diesem hieß es u.a.:
"§ 6 Verlegung des Einsatzortes
Der Pilot verpflichtet sich, bei Bedarf unter Berücksichtigung einer halbjährlichen Flugplanung den Einsatzort nach Vorankündigung des Arbeitgebers von 3 Monaten an den neuen Einsatzort zu verlegen. "
Bei der Schuldnerin handelte es sich bis Ende des Jahres 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in E.und C.-U. hauptsächlich Ziele in ganz Europa sowie in Nordafrika und Israel anflog. Sie beschäftigte nach Angaben des Beklagten mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Keines der von der Schuldnerin genutzten Flugzeuge stand vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Eigentum der Schuldnerin. Alle Flugzeuge waren von dieser geleast worden.
Seit dem Jahr 2016 flog die Schuldnerin nicht mehr ausschließlich im eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb, sondern auch im so genannten wet-lease für die Euro x. GmbH und die Deutsche M. AG. Bei dieser Form des Leasings stellt der Leasinggeber das Flugzeug nebst kompletter Besatzung, Wartung und Versicherung. Die Komplementärin der Schuldnerin hielt zudem seit 2017 die Anteile an der Luftfahrtgesellschaft X. mbH (im Folgenden: M.) mit Sitz in E.. Diese erbrachte ausschließlich wet-lease-Leistungen für die Schuldnerin. Eigene Flugstreckenrechte (Slots) hatte die M. nicht inne.
Fü...