Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Übung und betriebliche Altersversorgung. Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung. Ticket für den Verkehrsverbund als Leistung der betrieblichen Altersversorgung. Betriebsvereinbarungsoffenheit kollektiver Versorgungszusagen. Auslegung von Betriebsvereinbarungen. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf 12 Sa 162/17 v. 28.06.2017
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung hat der Gesetzgeber die betriebliche Übung als Rechtsquelle ausdrücklich anerkannt (§ 1b Abs. 1 S. 4 BetrAVG). Danach steht die Verpflichtung aus einer Versorgungszusage einer auf betrieblicher Übung bestehenden Versorgungsverpflichtung gleich.
2. Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG sind nicht nur Geldleistungen. Auch Sach- und Nutzungsleistungen sowie im Ruhestand gewährte Personalrabatte können Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung sein. Es spielt dabei keine Rolle, ob derartige Leistungen zugleich den aktiven Mitarbeitern gewährt werden.
3. Gewährt der Arbeitgeber kraft betrieblicher Übung den Betriebsrentnern ein kostenloses Ticket zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, so ist dies eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung. Sie ist durch ein biometrisches Ereignis ausgelöst und dient der Sicherung des Lebensstandards des Arbeitnehmers nach dem Übergang in den Ruhestand.
4. Betriebsvereinbarungsoffenheit ermöglicht den Betriebsparteien nicht, schrankenlos in durch eine Versorgungszusage begründete Besitzstände der Arbeitnehmer einzugreifen. Bei einer Ablösung gelten die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit. Diese erfordern ein dreistufiges Prüfungsschema je nach dem Maß der erdienten Anwartschaft.
5. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmungen an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Regelung der Vorzug, der zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1, § 1b Abs. 1 S. 4, § 2 Abs. 1, 5; BetrVG § 77 Abs. 4; BGB §§ 151, 395
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 16.11.2016; Aktenzeichen 6 Ca 1764/16) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 16.11.2016 - 6 Ca 1764/16 - teilweise abgeändert und zum Zwecke der Klarstellung in der Hauptsache wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, der Ehefrau des Klägers, Frau I. T., ab Rechtskraft dieses Urteils, ein Ticket 1000 der Preisstufe A3 des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) lebenslang zu gewähren, solange die Eheleute verheiratet sind und im selben Haushalt leben.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist dem Kläger die von seiner Ehefrau I. T. seit dem 01.06.2017 bis zur Rechtskraft des Urteils in dem vorliegenden Rechtsstreit aufgewandten Kosten für Tickets im Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR) zu erstatten, die durch den Tarifbereich eines Tickets 1000 der Preisstufe A3 abgedeckt gewesen wären.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die weitergehenden Berufungen des Klägers und der Beklagten werden zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 80% und die Beklagte zu 20 %.
IV.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen über einen Anspruch des Klägers auf Überlassung eines kostenlosen Tickets zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs für seine Ehefrau, sowie die Einordnung dieser Leistung als eine der betrieblichen Altersversorgung.
Die Beklagte ist ein Unternehmen, welches für die Stadt Essen den öffentlichen Nahverkehr betreibt. Der am 20.05.1952 geborene Kläger wurde zum 01.04.1974 als Straßenbahnfahrer eingestellt. Der Arbeitsvertrag enthielt u.a. folgende Regelung:
"§ 2
Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) vom 22. Mai 1953 und der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge - insbesondere des Bezirkszusatztarifvertrages (BZT-G/NRW) - in ihrer jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an deren Stelle tretenden Tarifverträge. Daneben finden die für den Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge, betrieblichen Vereinbarungen und die Dienst- bzw. Arbeitsordnung Anwendung. "
Die Beklagte stellte in der Vergangenheit ihren Mitarbeitern und deren Ehepartnern auf Antrag ein unentgeltliches Ticket zur Nutzung der Verkehrsmittel im öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung. Zeitweise warb sie auf Fahrzeugen für Mitarbeiter mit einer Aufschrift, die sinngem...