Entscheidungsstichwort (Thema)

Beabsichtigte endgültige Stilllegung des Betriebs als betriebsbedingter Kündigungsgrund. Betriebsteilübergang und identitätswahrende Fortführung der wirtschaftlichen Einheit. Wirtschaftliche Einheit als Wesensmerkmal eines Betriebsübergangs. Keine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Einheit bei einzelnen Flugzeugen, Langstrecke, Abflugstationen oder Wet Lease eines Luftverkehrsunternehmens im Sinne eines Teilbetriebsübergangs. Anhörung der Personalvertretung vor jeder Kündigung. Unrichtige Angabe der Mitarbeiterzahl kein Grund für eine Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige. Zuständige Agentur für Arbeit für die Massenentlassungsanzeige für das fliegende Personal bei mehreren Abflugstationen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Luftfahrtunternehmen stellen einzelne Flugzeuge Start- und Landerechte ("Slots"), Langstrecken, Mittel- und Kurzstrecken für sich betrachtet keine selbstständig abgrenzbaren wirtschaftlichen und organisatorischen Betriebsteile dar. Bei den einzelnen Abflugstationen kommt es auf deren Ausgestaltung und Organisationsstruktur an.

2. Eine Massenentlassungsanzeige ist nicht wegen fehlerhafter Angabe der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer von der Angabe nicht betroffen ist und sie keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur hat.

 

Normenkette

RL 2001/23/EG Art. 6; InsO § 113; BGB § 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2-3; TV PV Cockpit § 74 Abs. 1; KSchG § 17 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.04.2018; Aktenzeichen 9 Ca 6999/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.02.2020; Aktenzeichen 6 AZR 268/19)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.04.2018, 9 Ca 6999/17, wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird für den Kläger zugelassen, soweit die Berufung hinsichtlich des gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Kündigungsschutzantrages (Feststellungsantrag Ziffer 1.) zurückgewiesen worden ist. im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage wehrt der Kläger sich gegen eine vom Beklagten zu 1) ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung im Zusammenhang mit einer Insolvenz und macht den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses im Wege eines von ihm behaupteten Betriebsübergangs gegenüber der Beklagten zu 2) geltend. Gegenüber der Beklagten zu 2) begehrt er zudem die Weiterbeschäftigung.

Der Beklagte zu 1) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C..

Der am 15.11.1977 geborene, ledige Kläger, der zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 01.06.2010 bei der Schuldnerin bzw. deren Rechtsvorgängerin, der M. M.-Unternehmen GmbH, als Copilot und Senior First Officer zuletzt zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 11.522,85 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die jeweils gültigen tariflichen Bestimmungen für das M. Cockpitpersonal, unter anderem der Manteltarifvertrag Nr. 4 (im Folgenden: MTV Nr. 4 M.) Anwendung.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging im Jahr 2011 aufgrund eines Betriebsübergangs im Zusammenhang mit einer aufnehmenden Verschmelzung auf die Schuldnerin über.

Grundlage der Tätigkeit des Klägers war zuletzt der noch mit der M. abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 15.04.2010 i.V.m. dem mit der Schuldnerin abgeschlossenen "Zusatz zum Arbeitsvertrag Senior First Officer" vom 22.11.2016. In § 5 des Arbeitsvertrages war Folgendes vereinbart:

"§ 5 Dienstlicher Einsatzort

Dienstlicher Einsatzort ist E..

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Wohnsitz so zu wählen, dass er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst an dem entsprechenden Einsatzort antreten kann.

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, einen PKW bereitzuhalten, um seinen Dienst pünktlich antreten zu können, sofern dies durch öffentliche Verkehrsmittel nicht sichergestellt ist."

Die Schuldnerin war bis Ende des Jahres 2017 die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands mit Sitz in C., die von ihren Drehkreuzen in E. und C.-U. unter ihrem Air Operator Certificate (AOC = Luftverkehrsbetreiberzeugnis) hauptsächlich Ziele in Europa, Nordafrika und Israel anflog. Interkontinental wurden Städte in Nord- und Mittelamerika bedient. Nach Angaben des Beklagten waren mit Stand August 2017 bei ihr 6.121 Mitarbeiter beschäftigt, davon 1.318 Piloten, 3.362 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Der Flugverkehr wurde mit den Flugzeugtypen der A 320-Familie und der A 330-Familie betrieben. Die A 320-Familie wurde hauptsächlich für die Mittel- und Kurzstrecke eingesetzt, die A 330-Familie hauptsächlich für die Langstrecke. Alle eingesetzten Flugzeuge waren geleast.

Die Schuldnerin verfügte über Stationen an den Flughäfen C., E., N., G., T., I., L., Q., O. und M.. Soweit Cockpitpersonal an anderen Fl...

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