Entscheidungsstichwort (Thema)
Formelle Anforderungen an Darlegung der Umstände in Berufungsbegründung. Lockdown als Teil der betrieblichen Risikosphäre. Anwendbarkeit des § 615 Abs 3 BGB bei Corona-bedingter Betriebsschließung. Vergütungsanspruch während des Lockdowns
Leitsatz (amtlich)
Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit infolge behördlicher Betriebsschließungen in Form eines branchenweiten, durch die Corona-Pandemie verursachten Lockdowns, unterfällt dies grundsätzlich der Betriebsrisikosphäre des Arbeitgebers (§ 615 Satz 3 BGB).
Normenkette
BGB § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 S. 1, § 615 Sätze 1, 3; SGB III § 95 S. 1 Nr. 4, § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 99 Abs. 1 S. 2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; CoronaSchVO NRW § 3 Abs. 1 Nr. 6 Fassung: 2020-03-22, § 5 Abs. 1 Fassung: 2020-03-22; ZÜP § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 23.09.2020; Aktenzeichen 7 Ca 1468/20) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 23.09.2020 - Az.: 7 Ca 1468/20 - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung eines Urlaubsentgeltes in Höhe von 1.162,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2020 richtet.
- Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtsstreits.
- Die Revision wird für die Beklagte zugelassen, soweit ihre Berufung zurückgewiesen wurde (Verurteilung zur Zahlung von Annahmeverzugslohn in Höhe von 666,19 € brutto nebst Zinsen).
Tatbestand
Die Parteien streiten um ausstehende Vergütung für den Monat April 2020.
Die am 29.07.1955 geborene Klägerin war ab dem 01.04.2016 bei der Beklagten als Spielstättenmitarbeiterin in X. (Spielstätte D. J., Q. str. 82) beschäftigt. Die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung der Klägerin betrug 2.000,00 €. Die Beklagte vergütete die Klägerin mit einem Stundenlohn in Höhe von 9,35 € brutto. Die Klägerin arbeitete durchschnittlich an fünf Tagen die Woche, verteilt auf sieben Tage die Woche. Sonntags betrug die regelmäßige Arbeitszeit acht Stunden, an allen anderen Wochentagen neun Stunden. Für die Arbeitszeit zwischen 22:00 Uhr und 1:00 Uhr (Spätschicht) zahlte die Beklagte zudem einen Nachtzuschlag in Höhe von 25 % pro Stunde. An Sonn- und Feiertagen zahlte die Beklagte einen Zuschlag von 50 % pro Arbeitsstunde. Darüber hinaus erhielt die Klägerin ein Fahrgeld. Wegen der weiteren Arbeitsbedingungen wird auf den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 17.04.2016 (Blatt 5 f. der Akte) Bezug genommen.
Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgerecht zum 30.04.2020. Für den Monat April 2020 wurde die Klägerin ausweislich des handschriftlichen Dienstplans für sieben Tage zwischen dem 01.04. und dem 12.04.2020 zur Arbeitsleistung eingeteilt. Für den weiteren Zeitraum bis Monatsende findet sich ein Eintrag "Url. N. 13 Tage". Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erließ die Stadt Wuppertal am 16.03.2020 eine Allgemeinverfügung, aufgrund derer Ziffer 4 lit. e. die Beklagte zur sofortigen Schließung ihrer Spielstätten gezwungen war. Auf Anordnung der Beklagten blieb die Klägerin der Arbeit fern. Am 22.03.2020 trat die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronaSchVO) des Landes Nordrhein-Westfalen in Kraft. Diese regelt in § 3 Abs. 1 Nr. 6 ein Verbot des Betriebes von unter anderem "Spielhallen". § 13 Satz 1 sieht vor, dass die Bestimmungen der der CoronaSchVO widersprechenden oder inhaltsgleichen Allgemeinverfügungen der nach § 3 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz zuständigen Behörden vorgehen. Die Klägerin arbeitete bis zum 30.04.2020 nicht mehr. Für den Monat März 2020 vergütete die Beklagte ausweislich der der Klägerin erteilten Verdienstabrechnung unter anderem Urlaubsentgelt für 97 Stunden, mit Abrechnung für den Monat April 2020 weitere 18 Stunden. Gegenüber allen weiteren Spielstättenmitarbeitern ordnete die Beklagte Kurzarbeit an, sie bezogen Kurzarbeitergeld. Für den Zeitraum März/April 2020 erhielt die Beklagte Überbrückungsbeihilfen der öffentlichen Hand in Höhe von 15.000,00 €. Eine Betriebsausfall- oder Betriebsschließungsversicherung hatte sie nicht abgeschlossen.
Nachdem die Parteien erstinstanzlich einen Teilvergleich über die Erteilung eines Arbeitszeugnisses geschlossen haben, haben die Parteien nur noch über die Zahlung der Vergütung für den Monat April 2020 gestritten. Die Klägerin hat Annahmeverzugslohn für 62 Arbeitsstunden, Urlaubsentgelt für 117 Arbeitsstunden, die Schichtzuschläge entsprechend ihrer Gewährung in den Vormonaten sowie Fahrgeld begehrt. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe das Risiko des durch die Corona-Pandemie bedingten Arbeitsausfalls zu tragen. Sie hat "sich dagegen verwehrt", dass ihr Urlaub bereits in der Entgeltabrechnung für März 2020 verbra...