Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses. Betriebsübergang. Widerspruch. Widerspruchsrecht. Bestätigung. Treuwidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Unterrichtung über einen Betriebsübergang ist fehlerhaft und setzt den Lauf der Widerspruchsfrist gemäß § 613 a Abs. 6 BGB nicht in Gang, wenn über die haftungsrechtlichen Folgen des Betriebsübergangs nicht unterrichtet worden ist.

2. Das Risiko der nicht laufenden Widerspruchsfrist muss der Arbeitgeber, der zur ordnungsgemäßen Unterrichtung verpflichtet ist, unabhängig davon, ob ihm die Fehlerhaftigkeit bekannt ist, tragen. Schließlich hat der Arbeitgeber es in der Hand, die Unterrichtung ordnungsgemäß zu erteilen.

3. Auf den Tatbestand der Verwirkung kann sich nur derjenige berufen, der aufgrund bestimmter vom Berechtigten gesetzter Umstände selbst das Vertrauen gebildet hat, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Insofern ist eine subjektive Komponente auf Seiten des Vertrauenden erforderlich, die nicht durch die Kenntnis eines Dritten – zum Beispiel des Erwerbers – von dem Umstandsmoment ersetzt werden kann.

4. Läuft die Widerspruchsfrist wegen einer fehlerhaften Unterrichtung nicht, so kann in der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung kein konkludenter Verzicht des Arbeitnehmers auf die Ausübung des Widerspruchsrechts gesehen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer keine Kenntnis von einem noch bestehenden Widerspruchsrecht hat.

5. Der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit einem dritten Arbeitgeber kann eine geeignete Maßnahme darstellen, den Vorwurf des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs zu vermeiden, ohne dass darin gleichzeitig ein Verzicht auf das Widerspruchsrecht zu sehen ist. Ob die Ausübung des Widerspruchsrechts in solchen Fällen rechtsmissbräuchlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 5-6, §§ 144, 242

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Urteil vom 09.01.2007; Aktenzeichen 5 Ca 1249/06 lev)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.12.2010; Aktenzeichen 8 AZR 592/08)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 09.01.2007 – 5 Ca 1249/06 lev – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszwischenzeugnis zu erteilen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner am 11.07.2006 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Zudem begehrt er die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.

Der am 15.11.1973 geborene, verheiratete Kläger, der einem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist, begann 1992 bei der Beklagten seine Ausbildung und ist dort seit 1996 als Betriebsingenieur zu einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 3.478,00 EUR beschäftigt. Er wohnt in F. (Kreis Aachen) und ist jeden Tag zur Betriebsstätte der Beklagten im zirka 75 km entfernten M. gependelt.

Der Kläger war dem nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien selbständigen Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) zugeordnet, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.

Da die Beklagte beabsichtigte, den Geschäftsbereich Consumer Imaging auf die B. Photo GmbH als Erwerberin zu übertragen, fanden für die von diesem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere Geschäftsführer der B. Photo GmbH, F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden sich in den betriebsinternen Magazinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro Barmittel.

Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab. In diesem Interessenausgleich waren Abfindungsleistungen für die ausscheidenden Mitarbeiter fes...

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