Entscheidungsstichwort (Thema)

Tendenzträgereigenschaft. Einstellung. Mitbestimmung des Betriebsrats

 

Leitsatz (redaktionell)

Ausbilder, die bei einem Bildungsträger tätig sind, der in zahlreichen Berufsfeldern die praktische Berufsausbildung für Jugendliche und Erwachsene durchführt, die entwicklungsverzögert sind, sind Tendenzträger nach § 118 BetrVG. Sie sind maßgeblich und unmittelbar an der Tendenzverwirklichung beteiligt, denn sie leisten über reine Wissensvermittlung hinaus erzieherische Arbeit.

 

Normenkette

BetrVG §§ 99, 118

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Beschluss vom 07.10.2008; Aktenzeichen 20 BV 15/07)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 7. Oktober 2008 – 20 BV 15/07 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über Unterrichtungsrechte des Betriebsrats bei der Einstellung von Zeit-/Leiharbeitnehmern sowie darüber, ob die von der Beteiligten zu 2 beschäftigten Ausbilder Tendenzträger sind.

Die Beteiligte zu 2 ist ein Bildungsträger, der in 16 Berufsfeldern (8 technisch gewerblichen Bereichen sowie acht in anderen Berufen) die praktische Berufsausbildung für Jugendliche und junge Erwachsene durchführt, die entwicklungsverzögert sind. Die Ausbildungen enden jeweils mit dem anerkannten Lehrabschluss der Auszubildenden vor den entsprechenden Prüfungskommissionen.

Neben der praktischen Ausbildung werden von der Beteiligten zu 2 auch so genannte Berufsvorbereitungsmaßnahmen durchgeführt, in denen Jugendliche mit einem besonders schwierigen Hintergrund für die Aufnahme einer Berufsausbildung vorbereitet werden. Bei der Beteiligten zu 2 wird in so genannten Lerngruppenteams nach einem Lernkonzept gearbeitet, in das Sozialpädagogen, Psychologen, Sportpädagogen, Sonderpädagogen und Ausbilder eingebunden sind. Die schulische Ausbildung erfolgt parallel (im dualen System) in der direkt angegliederten staatlichen Berufsschule, der G 12.

Die Beteiligte zu 2 beschäftigte zur Zeit der Antragstellung ca. 120 Mitarbeiter, davon 46 Ausbilder, 13 Sozialpädagogen, 7 Sonderpädagogen, 2 Sportpädagogen und 6 Psychologen. Wichtigster Kostenträger der Beteiligten zu 2 ist die Bundesagentur für Arbeit.

Der Beteiligte zu 1 ist der bei der Beteiligten zu 2 gebildete Betriebsrat.

Mit Betriebsvereinbarung Nr. 1 vom 14. August 1981 (Anlage Ast 1, Bl. 6 – 8 d. A.) haben die Betriebsparteien eine „Verfahrensordnung zur Durchführung der Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen gemäß BetrVG § 99” eingeführt, die bisher ungekündigt ist und von Beginn an für sämtliche Einstellungsfälle, auch im Bereich der Ausbilder und Sozialpädagogen, angewandt wurde.

Mit „interner Notiz” vom 8. August 2007 kündigte die Beteiligte zu 2 dem Beteiligten zu 1 an, diese Betriebsvereinbarung künftig für Tendenzträger nicht mehr anwenden zu wollen und ab September 2007 ein verändertes Verfahren einzuführen, das nur noch die einfache Information des Betriebsrats insoweit vorsehe.

Mit „interner Notiz” vom 3. September 2007 teilte die Beteiligte zu 2 dem Beteiligten zu 1 mit, sie werde den bei einer Zeitarbeitsfirma angestellten Herrn Dr. W. für die Zeit vom 6. September 2007 bis zum 21. Dezember 2007 als Ausbilder für den Bereich Verkauf als Krankheitsvertretung für Herrn Pe. beschäftigen. Der Ausbilder im Bereich Verkauf sei dem Tendenzbereich zuzuordnen (Bl. 9 d. A.).

Mit weiterer interner Notiz vom 1. Oktober 2007 teilte die Beteiligte zu 2 dem Beteiligten zu 1 mit, sie werde die wöchentliche Arbeitszeit der dem Tendenzschutz unterliegenden Sozialpädagoginnen Frau K. um 4,22 Stunden wöchentlich sowie Frau P. um 4,75 Stunden wöchentlich bis zum 30. Juni 2008 erhöhen.

Der Beteiligte zu 1 hat gemeint, der Betriebsrat könne bei der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern die uneingeschränkte Beteiligung nach § 99 BetrVG beanspruchen. Er hat vorgetragen:

In der BV Nr. 1 sei das Verfahren bei personellen Einzelmaßnahmen abschließend vereinbart und das Informationsverfahren konkretisiert worden. Danach seien dem Betriebsrat insbesondere die Rechte eingeräumt worden,

  • vor Beginn der Einstellungsgespräche über den vorgesehenen Arbeitsplatz informiert zu werden
  • sämtliche Bewerbungsunterlagen ausgehändigt zu bekommen
  • an den Einstellungsgesprächen teilzunehmen.

Diese Informations- und Beteiligungspflichten bestünden unabhängig von der Tendenzträgereigenschaft der Einzustellenden. Auch bei vermeintlichen Tendenzträgern bestehe im Hinblick auf die jahrzehntelang geübte Praxis der Betriebsratsbeteiligung kein Grund, diese Betriebsvereinbarung anders zu praktizieren. Die einseitige Verfahrensänderung durch die Beklagte verstoße gegen den Grundsatz der zwingenden Wirkung von Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG.

Darüber hinaus räume § 14 Abs. 3 AÜG dem Betriebsrat ein eigenes Recht auf Zustimmungsverweigerung beim Einsatz von Zeit-/Leiharbeitskräften ein, das losgelöst von der Frage der Tendenzträgerschaft sei.

Die (überbetriebliche) Ausbildung im Betrieb der Beteiligte...

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