Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung zum Gesundheitsschutz bei Mitarbeiterbefragung in Konzerngesellschaft. Unterlassungsanträge des örtlichen Betriebsrats zur faktischen Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte durch Maßnahmen der Konzernobergesellschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer konzernweiten Mitarbeiterbefragung steht dem örtlichen Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu, auch wenn die beteiligten Arbeitgeber nur mit einem Teil der gestellten Fragen etwa erforderliche Maßnahmen des Gesundheitsschutzes zu identifizieren beabsichtigen, soweit es sich bei dem Fragebogen um ein unauflösbares Gesamtwerk handelt.
2. Ein Mitarbeiterfragebogen ist kein Personalfragebogen (§ 94 Abs. 1 BetrVG) und auch keine Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze (§ 94 Abs. 2 BetrVG), wenn die mittels Fragebogen erhobenen Daten einem einzelnen Arbeitnehmer nicht zuzuordnen sind, etwa weil der Arbeitgeber ein Drittunternehmen mit der Befragung beauftragt hat, das sich ihm gegenüber verpflichtet hat, die Ergebnisse nur in anonymisierter Form weiterzuleiten.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der örtliche Betriebsrat eines Tochterunternehmens kann von der Arbeitgeberin verlangen, die mitbestimmungswidrige Durchführung und Auswertung einer Mitarbeiterbefragung gegenüber ihren Beschäftigten ohne seine zuvor erteilte oder durch Einigungsstellenspruch ersetzte Zustimmung zu unterlassen. Das Unterlassungsverlangen richtet sich dabei nicht auf eine von der Arbeitgeberin selbst zu unterlassende Maßnahme sondern auf die Unterlassung einer mitbestimmungswidrigen Durchführung und Auswertung der Mitarbeiterbefragung durch die Konzernobergesellschaft gegenüber den Beschäftigten der Konzerngesellschaft.
2. Der Betriebsrat einer Konzerngesellschaft kann von der Arbeitgeberin verlangen, die faktische Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte durch Maßnahmen der Konzernobergesellschaft aktiv zu unterbinden. Die dafür erforderliche Rechtsmacht steht der Konzerngesellschaft trotz ihrer konzernrechtlichen Stellung als Tochtergesellschaft gegenüber der Konzernobergesellschaft zu, soweit die Konzernobergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft datenschutzrechtlich verpflichtet ist, die von ihr zentral verwalteten personenbezogenen Daten der Beschäftigten der Konzerngesellschaft nach dem allgemeinen Grundsatz der Zweckbindung der Daten nur für erlaubte Zwecke zu verwenden (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BDSG).
3. Die Verwendung von Personaldaten der Beschäftigten einer Tochtergesellschaft ist von der Zweckbindung der Datenverwendung nur für erlaubte Zwecke (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BDSG) nicht umfasst, wenn an die Beschäftigten der Tochtergesellschaft ein mitbestimmungswidrig erstellter Fragebogen für eine Mitarbeiterbefragung versendet werden soll. Die Tochtergesellschaft ist gegenüber ihrem Betriebsrat verpflichtet, diese datenschutzrechtliche Verpflichtung der Konzernobergesellschaft dieser gegenüber durchzusetzen.
Normenkette
BetrVG § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 7, § 94 Abs. 1-2; BDSG § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 14.07.2015; Aktenzeichen 9 BV 30/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerden der Arbeitgeberinnen und die Beschwerde des Konzernbetriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Juli 2015 - 9 BV 30/14 - werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Arbeitgeberinnen und den Konzernbetriebsrat zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und des Konzernbetriebsrats bei der erneuten Durchführung einer Mitarbeiterbefragung in einer Konzerngesellschaft.
Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin bietet die Diagnostik und Therapie sämtlicher Herz- und Kreislauferkrankungen an. Sie ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der zu 3. beteiligten Arbeitgeberin, einem Universitätsklinikum. Die zu 3. beteiligte Arbeitgeberin ist die Konzernobergesellschaft auch für weitere Unternehmen.
Der Beteiligte zu 1. ist der bei der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat (künftig: "Betriebsrat") und besteht aus 13 Mitgliedern.
Der Beteiligte zu 4. ist der bei der zu 3. beteiligten Arbeitgeberin gebildete Konzernbetriebsrat (künftig: "Konzernbetriebsrat").
Bereits im Jahre 2012 fand in der Zeit vom 15. Oktober 2012 bis 12. November 2012 in den Unternehmen der zu 3. beteiligten Arbeitgeberin eine konzernweite "Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterbefragung 2012" statt (künftig: "Mitarbeiterbefragung 2012"), mit deren Durchführung die konzernexterne P. Institut gGmbH beauftragt war. Die Befragung erfolgte ausschließlich in Papierform mithilfe von weitgehend standardisierten Fragebögen. Die Fragebögen wurden von der zu 3. beteiligten Arbeitgeberin an alle Mitarbeiter der konzernzugehörigen Unternehmen versendet. Die Beantwortung der Fragen war für die Mitarbeiter freiwillig (Anlage AG 3 - Bl. 219 d.A.). Die ausgefüllten Fragebögen wurden von den Mitarbeitern an die P. Institu...