Entscheidungsstichwort (Thema)

Formelle Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs. Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Personalplanung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ermessensspielraum der Einigungsstelle bei Maßnahmen aus der Gefährdungsbeurteilung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Spruch einer Einigungsstelle ist formal korrekt, wenn er von dem Regelungsauftrag gedeckt ist, der getroffenen Regelung keine grundsätzlichen gesetzgeberischen Entscheidungen entgegenstehen und die Einigungsstelle innerhalb ihres Entscheidungsspielraums entschieden hat.

2. Aus der Gesetzessystematik der §§ 92 ff. BetrVG lässt sich ersehen, dass die Personalplanung nicht allein der unternehmerischen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers vorbehalten ist. Daraus kann geschlossen werden, dass eine Maßnahme des Arbeitsschutzes, die in der Festlegung einer personellen Mindestbesetzung besteht, über § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 1 ArbSchG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt und damit einigungsstellenfähig ist. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt dazu aber noch nicht vor.

3. Die Bewertung, welche Maßnahmen zur Behebung festgestellter Gefährdungen am besten geeignet sind, ist Gegenstand des dem Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG zustehenden Ermessens, bei dessen Ausübung der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen hat. Kommt eine Einigung zwischen den Betriebsparteien nicht zustande, geht das Beurteilungs- und Auswahlermessen auf die Einigungsstelle über.

 

Normenkette

BetrVG § 76 Abs. 2, 3 S. 4, § 87 Abs. 1 Nr. 7, §§ 93-94; ArbSchG § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 5

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 06.08.2019; Aktenzeichen 9 BV 18/18)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 07.12.2021; Aktenzeichen 1 ABR 25/20)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 06.08.2019 (9 BV 18/18) abgeändert.

Der Antrag der Arbeitgeberin auf Feststellung der Unwirksamkeit des Teilspruchs der Einigungsstelle "Umsetzung von Maßnahmen nach Gefährdungsbeurteilung" vom 03.07.2019 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Teilspruchs einer Einigungsstelle.

1. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens und Beschwerdegegnerin (Arbeitgeberin) gehört zur Z- Gruppe und betreibt in Hamburg u.a. das Z-Klinikum an mehreren Standorten in Hamburg. Das Klinikum verfügt über ca. 1.700 Betten und beschäftigt rund 3.000 Arbeitnehmer. Der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens und Beschwerdeführer ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat.

2. Am 14.01.2010 schlossen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und der Anwendung von Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 ArbSchG einschließlich der Erfassung psychischer Belastungen an den Arbeitsplätzen der Z. Klinik (Anl. Ast1, Bl. 73 - 80, i.F.: BV Arbeitsschutz). Gemäß § 2 der BV Arbeitsschutz wurde ein paritätisch besetzter Steuerungsausschuss gebildet, der aus jeweils drei Vertretern pro Betriebspartei besteht und durch einstimmigen Beschluss entscheidet. Nach § 7 II der BV Arbeitsschutz beschließt der Steuerungsausschuss die Prioritäten und die zeitliche Umsetzung der abzuleitenden Maßnahmen. Kommt eine Einigung über abzuleitende Maßnahmen sowie deren Priorisierung und zeitliche Umsetzung im Steuerungsausschuss nicht zu Stande, so entscheidet gemäß § 7 III der BV Arbeitsschutz die Einigungsstelle. Nach § 8 der BV Arbeitsschutz besteht die Einigungsstelle aus drei Beisitzern pro Seite unter Vorsitz des damaligen RiArbG und heutigen PräsArbG Dr. H.

3. In der Sitzung des Steuerungsausschusses am 16.07.2013 (vgl. Sitzungsprotokoll Ast.2, Bl. 81-83 d.A.) schlugen die Arbeitnehmervertreter unter dem Tagesordnungspunkt 7 "Maßnahmen Wirksamkeitskontrolle Pädiatrie ÄD" unter anderem vor, 1. Personalberechnung anhand des Arbeitszeitmodells mit Einbeziehung des Chefarztes zu max. 10% sowie Oberärzte max. 30%; 2. umgehende Nachbesetzung der in der Personalberechnung ermittelten Stellen nach benötigter Qualifikation (Oberarzt, Facharzt, Assistenzarzt fortgeschrittene Weiterbildung, Berufsanfänger). Da die Maßnahmen von der Arbeitgeberseite abgelehnt wurden, beschloss der Steuerkreis, die Einigungsstelle anzurufen, die danach ihre Tätigkeit aufnahm.

4. Bereits im Jahr 2009 hatte die Arbeitgeberin von der D. eine Erhebung der psychischen Belastungssituation für die Ärzte der Abteilung Pädiatrie erstellen lassen, bzgl. deren Ergebnisse auf die Anlage AG2 (Bl. 303 - 339 d.A.) Bezug genommen wird. Von der damals mit 23 Ärzten besetzten Abteilung hatten 14 an einer Befragung teilgenommen. Verschiedene Arbeitsbedingungen wurden von den Teilnehmern in Kategorien von 1 (stark negativ) über 2 (tendenziell negativ) und 3 (tendenziell positiv) bis 4 (stark positiv) eingeordnet. Die Arbeitsbedingung "passende mengenmäßige Arbeit" wurde durchschnittlich mit 1,5...

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