Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfügungsanspruch des Betriebsrats bei Verletzung von Mitbestimmungsrechten. Unwirksame Entscheidung der Einigungsstelle. Verfügungsgrund im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Betriebsrat kann verlangen, dass der Arbeitgeber der Mitbestimmung des Betriebsrats unterfallende Maßnahmen unterlässt, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung nicht erteilt hat oder sie nicht durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
2. Eine Entscheidung der Einigungsstelle, die den Regelungsgegenstand nicht selbst regelt, sondern dem Arbeitgeber das Recht einräumt, den mitbestimmungspflichtigen Gegenstand im Wesentlichen allein zu gestalten, ist unwirksam. Die Einigungsstelle ist verpflichtet, ihren Regelungsgegenstand selbst vollständig zu erledigen. Dies ist ihr rechtlich zu erfüllender Auftrag.
3. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes kann den Erlass einer sog. Befriedigungsverfügung erfordern, um eine Hinnahme der Verletzung von Mitbestimmungsrechten mit Dauerwirkung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verhindern.
Normenkette
BetrVG § 76 Abs. 5, § 87 Abs. 1 Nrn. 2-3; ETV-DP AG § 14; MTV DP AG § 22 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 09.06.2020; Aktenzeichen 25 BVGa 2/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 9. Juni 2020 (25 BVGa 2/20) abgeändert und die Beteiligte zu 2 im Wege einstweiliger Verfügung verpflichtet, die Anwendung des Spruchs der Einigungsstelle "Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit in der Zustellung" vom 14. Mai 2020 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nach § 76 Abs. 5 BetrVG (29 BV 9/20) zu unterlassen.
Gründe
I.
Der Betriebsrat verlangt, der Arbeitgeberin im Wege einstweiliger Verfügung zu untersagen, ab dem 1. September 2020 eine durch Entscheidung der Einigungsstelle zustande gekommene Betriebsvereinbarung anzuwenden.
Der Betrieb, in dem etwa 7.800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist mit der Zustellung von Briefen und Paketen gefasst. Der Betriebsrat kündigte die bisher bestehenden Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit. Nachdem zwischen den Beteiligten in freien Verhandlungen keine neue Betriebsvereinbarung vereinbart worden war, wurde auf Antrag der Arbeitgeberin eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit für die Abteilungen 33 (Auslieferung Brief) und 36 (Auslieferung Paket)" eingesetzt. Diese beschloss am 14. Mai 2020 eine Betriebsvereinbarung, wegen deren Einzelheiten auf die Anlage A 1 zur Antragsschrift (Bl. 17 bis 23 d.A.) verwiesen wird.
Im Termin zur Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht am 6. August 2020 erklärten die Beteiligten, dass die Arbeit den Zustellerinnen und Zustellern nicht nach Zustellbezirken zugewiesen würde, deren Arbeitsvolumen zuvor nach arbeitswissenschaftlichen Methoden ermittelt worden sei. Zwar gäbe es möglichst immer dieselben Zustellbezirke, aber es würden nach Bedarf auch zusätzlich Teile weiterer Zustellbezirke zur Erledigung zugewiesen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung der Einigungsstelle rechtsfehlerhaft sei, weil sie gegen die im Betrieb geltenden Tarifverträge verstoße. Während es der Manteltarifvertrag ermögliche, dass die regelmäßige Wochen- und Tagesarbeitszeit in Dienstplänen unterschiedlich verteilt werden könne und nur in einem Zeitraum von 12 Monaten für jeden Beschäftigten und jede Beschäftigte die Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden erreicht werden müsse, regele die beschlossene Betriebsvereinbarung, dass die in den Dienstplänen festgelegte Arbeitszeit gerade nicht eingehalten zu werden brauche. Auch verstoße die Dienstvereinbarung gegen § 14 Abs. 3 Entgelttarifvertrag, nach dem Überschreitungen der dienstplanmäßigen Arbeitszeit von 10 Minuten Dauer unberücksichtigt blieben, ansonsten aber jede angefangene halbe Stunde als volle halbe Stunden berechnet werden müsse. Ferner seien nach § 14 Abs. 1 Entgelttarifvertrag über die dienstplanmäßige Arbeitszeit hinausgehende Stunden, die auf Anordnung/mit Billigung der Arbeitgeberin geleistet würden, Überstunden, während nach der Betriebsvereinbarung solche Stunden in ein Arbeitszeitkonto eingingen. Nach § 14 Abs. 10 Entgelttarifvertrag sei jede Arbeitsstunde, die für die Dauer von längstens sieben Kalendertagen über die Summe der nach dem ursprünglichen Dienstplan zu leistenden Arbeitsstunden hinausgehe, Überzeitarbeit, während es sich nach der Betriebsvereinbarung um normale Überstunden handele. Ferner werde den Beschäftigten dadurch, dass nach der Betriebsvereinbarung durch Dienstplanwechsel entstehende zusätzliche Arbeitszeiten in eine Arbeitszeitkonto gebucht und nicht als Überstunden anerkannt würden, die Möglichkeit genommen, sich diese Stunden bar abgelten zu lassen. Durch die in der Betriebsvereinbarung vorgesehene Möglichkeit, dass die Arbeitgeberin bis zu achtmal pro Jahr den Wechsel des dienstplanmäßig freien Ta...