Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsstellenspruch über Beschwerderecht. Beschwerde über Arbeitsüberlastung
Leitsatz (redaktionell)
1. Von der Geltendmachung eines Rechtsanspruchs i.S.d. § 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG ist immer dann auszugehen, wenn Gegenstand der Beschwerde ein konkretisierbarer Anspruch des Arbeitnehmers ist. Dieser kann sich aus dem Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen oder Gesetzesrecht ergeben. Ein das Beschwerderecht ausschließender Rechtsanspruch liegt auch dann vor, wenn mit der Beschwerde die Verletzung einer arbeitgeberseitigen Nebenpflicht wie der Fürsorgepflicht gerügt wird.
2. Im Fall einer Beschwerde betreffend Arbeitsüberlastung muss die Einigungsstelle durch Erörterung der tatsächlichen Umstände und eventueller Abhilfemöglichkeiten sicherstellen, nicht doch über einen Rechtsanspruch des betreffenden Arbeitnehmers zu entscheiden.
Normenkette
BetrVG § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Beschluss vom 28.01.2004; Aktenzeichen 23 BV 16/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 28. Januar 2004 – 23 BV 16/03 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle vom 12. September 2003.
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2002 wandten sich 7 von insgesamt 9 Mitarbeitern der Filiale xxx der Beteiligten zu 1. an den Betriebsrat, den Beteiligten zu 2. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut (Anlage ASt. 1, Bl. 27 d.A.):
„Betr.: Beschwerde nach § 85 Betriebsverfassungsgesetz
In der Filiale Hamburg xxx wurde vom 12.8.02 bis 27.9.02 ein Schalterarbeitsplatz nicht besetzt. Die Standardfiliale hat vier Schalterarbeitsplätze, von denen in der Schalteröffnungszeit drei Arbeitsplätze immer und einer zeitweise besetzt sind.
Die Nichtbesetzung eines Arbeitsplatzes hatte folgende Auswirkungen:
- Es konnten keine Kurzpausen genommen werden.
- Zeitweise waren nur zwei Schalterarbeitsplätze besetzt.
- Nach der dienstplanmäßigen Arbeitszeit mussten Überstunden geleistet werden, um den Arbeitsablauf zu gewährleisten.
- Eine hohe Stressbelastung durch Akkordarbeit, um die Kundenschlangen abzubauen.
- Kunden beschwerten sich häufig über lange Wartezeiten und nicht besetzte Arbeitsplätze.
Auf einer Dienstbesprechung am 21. August 2002 wurden die Auswirkungen der Übertragungen dem Filialbezirksleiter, Herrn V. und seinem Stellvertreter, Herrn B., geschildert. Die Filialbezirksleitung kündigte die Nichtbesetzung eines Arbeitsplatzes als Dauerzustand an.
Die Unterzeichner der Beschwerde fordern von der Niederlassungsleitung eine ständige volle Besetzung der Arbeitsplätze in der Filiale xxx”.
Der Beteiligte zu 2. nahm die Beschwerde entgegen und erachtete sie für berechtigt.
Im Verfahren 14 Bv 15/02 ist die Einigungsstelle zur Behandlung der Beschwerden gemäß Schreiben vom 1. Oktober 2002 eingesetzt worden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht Hamburg – 1 TaBv 1/03 – zurückgewiesen.
Die Einigungsstelle tagte am 20. Juni 2003, 25. Juli 2003, 3. September 2003 und 12. September 2003. Wegen der Sitzungsniederschriften wird auf Bl. 39 – 49 d.A. verwiesen.
Am 12. September 2003 wurde ein Einigungsstellenspruch gefällt mit der Tenorierung:
„Die Beschwerde vom 1. Oktober 2002 ist berechtigt”.
Wegen der Gründe des Spruchs wird auf Bl. 50 f. d.A. Bezug genommen.
Am 26. September 2003 hat die Beteiligte zu 1. das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet. Sie hat die Auffassung vertreten, der Spruch der Einigungsstelle sei unwirksam.
Die Beteiligte zu 1. hat geltend gemacht, die Einigungsstelle sei für den von ihr verkündeten Spruch bereits nicht zuständig gewesen. Die Beschwerdeführer hätten sich konkret über die nicht hinreichende Besetzung der Filiale xxx im Zeitraum vom 12. August 2002 bis zum 27. September 2002 beschwert, nicht hingegen allgemein über eine Überlastung bei Urlaub/Krankheit von Kollegen und einer fehlenden Vertretungskraft. Es handele sich um einen zeitlich abgeschlossenen Lebenssachverhalt. Dieser in der Vergangenheit erlittenen Arbeitsüberlastung könne nicht mehr abgeholfen werden. Die Einigungsstelle habe die Beschwerde inhaltlich erweitert, was unzulässig sei.
Die Einrichtung der Einigungsstelle habe vorliegend zudem zu einer unzulässigen Erweiterung von Mitbestimmungsrechten des Beteiligten zu 2. geführt, der Spruch zwinge die Beteiligte zu 1. faktisch dazu, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Einigungsstellenverfahren nach § 85 Abs. 1 BetrVG komme nur dann in Frage, wenn sich die Beschwerde auf eine Frage bezieht, die abstrakt generell der Mitbestimmung des Betriebsrats unterworfen ist.
Des Weiteren folge die Unzuständigkeit der Einigungsstelle daraus, dass die Beschwerdeführer versuchten, mit der Beschwerde – vermeintliche – Rechtsansprüche geltend zu machen. Die Frage von Kurzpausen sei im Tarifvertrag Nr. 397 geregelt, die Pflicht zur Leist...