Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche personenbedingte Kündigung eines inhaftierten Arbeitnehmers. Unbegründete Kündigungsschutzklage bei zu verbüßender Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren und drei Monaten und unerheblichen Einwendungen zur Betriebsratsanhörung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat der Arbeitnehmer nach seiner strafrechtlichen Verurteilung eine Freiheitsstrafe zu verbüßen und beträgt der noch zu verbüßende Teil der Haftstrafe zum Kündigungszeitpunkt mehr als 2 Jahre, ist dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zuzumuten, über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus am Arbeitsverhältnis festzuhalten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung nicht absehbar ist, ob und ggf. wann der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird und ob und ggf. wann dem Arbeitnehmer Vollzugslockerungen gewährt werden.

2. Äußert der Arbeitgeber in der schriftlichen Anhörung des Betriebsrats Vermutungen (hier: Vermutung, dass ein offener Verzug nicht erlauben würde, dass eine Rückkehr in die JVA bei einem Arbeitszeitende nach 22:50 Uhr möglich wäre), kommt es für die Ordnungsmäßigkeit der Betriebsratsanhörung nicht darauf an, ob diese Vermutungen zutreffen. Insoweit ist der Grundsatz der subjektiven Determination zu beachten: Der Betriebsrat wird durch die Anhörung in zutreffender Weise in Kenntnis darüber gesetzt, von welchen subjektiven Annahmen der Arbeitgeber ausgeht. Hält der Betriebsrat diese Annahmen für falsch, kann er sie in seiner Stellungnahme im Rahmen des § 102 BetrVG richtig stellen und hierdurch Einfluss auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers nehmen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 241 Abs. 2; StGB § 57 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 14.01.2015; Aktenzeichen 24 Ca 266/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Januar 2015 - Az. 24 Ca 266/14 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses aus personenbedingten Gründen.

Der am XX.X.XXX geborene Kläger steht bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrages vom 21.9.2001 (vgl. Anlage 2 zur Betriebsratsanhörung Anlagenkonvolut B1, Bl. 25 ff. d.A.) seit dem 1.10.2001 als Lagerarbeiter in Vollzeit zu einer zuletzt erzielten Monatsvergütung von € 2.027,00 brutto im Arbeitsverhältnis. Die der Beklagten vorliegende Lohnsteuerkarte weist den Kläger als ledig mit einem Kind aus. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Logistikunternehmen mit ca. 1.200 beschäftigten Arbeitnehmern. Es ist ein Betriebsrat gewählt.

Bei der Beklagten wird im Schichtdienst gearbeitet. Der Kläger war zuletzt in der sog. zweiten Arbeitszeit von 14:40 Uhr bis 22:50 Uhr mit Sonnabendschicht einmal pro Monat eingesetzt.

Ab dem 4.3.2014 erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Mit Schreiben vom 10.3.2014 teilte der damalige anwaltliche Vertreter des Klägers Herr Rechtsanwalt K. der Beklagten mit, dass sich der Kläger aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Nordhorn in Haft befinde. Weiterhin kündigte Herr Rechtsanwalt K. an, die Beklagte kurzfristig darüber zu informieren, ob der Kläger in Kürze wieder in der Lage sein werde, seine Arbeitskraft vertragsgemäß zur Verfügung zu stellen. Für die Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 10.3.2014, Anlage 3 zur Betriebsratsanhörung Anlagenkonvolut B1, Bl. 34 d. A. verwiesen.

Nachdem die Beklagte in der Zwischenzeit keine weiteren Informationen erhalten hatte, meldete sich am 26.8.2014 Frau Rechtsanwältin D. für den Kläger. Das Schreiben vom 26.8.2014 (Anlage 4 zur Betriebsratsanhörung Anlagenkonvolut B1, Bl. 35 d.A.) hat folgenden Wortlaut:

"... hiermit zeigen wir an, dass wir Ihren Arbeitnehmer, Herrn A. vertreten. Ordnungsgemäße Vollmacht wird anwaltlich versichert.

Unser Mandant ist zurzeit in der JVA L. inhaftiert. Es wird gebeten mitzuteilen, ob das Arbeitsverhältnis mit Ihnen noch besteht bzw. ggf. wie es beendet worden ist. Unser Mandant prüft gerade eine Verlegung in den offenen Vollzug in Hamburg und könnte sodann bei Ihnen die Beschäftigung wieder aufnehmen. ...

Die Beklagte erbat daraufhin mit Schreiben vom 8.9.2014 Informationen zur Dauer der Haftstrafe, wegen welcher Straftat die Verurteilung erfolgte, welcher Vollzugsplan festgelegt wurde, ob und gegebenenfalls wann eine Unterbringung in einer JVA des offenen Vollzuges vorgesehen ist und ob dieser in Hamburg erfolgen werde. Die Beklagte behielt sich ausdrücklich vor, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu überprüfen (vgl. Anlage 5/3 zur Betriebsratsanhörung Anlagenkonvolut B1, Bl. 38 f. d.A.). Frau Rechtsanwältin D. teilte zu den Anfragen gegenüber der Leiterin des Labour Law Departments der Beklagten Frau H. am 2.10.2014 telefonisch mit, dass der Kläger im Juli 2014 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren wegen der Einführung von 2 kg Kokain aus den Niederlan...

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