Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den klägerischen Indizienvortrag i.S.d. § 22 AGG. Kausalzusammenhang zwischen Behinderung und benachteiligender Behandlung i.S.d. § 7 Abs. 1 AGG. Prozessuale Unbeachtlichkeit von Mutmaßungen über eine möglicherweise unterbliebene Betriebsratsanhörung (sog. "Vortrag ins Blaue"). Ausschreibung offener Stellen auf der Online-Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit
Leitsatz (amtlich)
1. Behauptungen "ins Blaue" genügen für die Darlegung von Indizien im Sinne des § 22 AGG nicht. Ein solcher Vortrag ist prozessual unbeachtlich.
2. Die bloße Vermutung, das in § 164 Abs. 1 S. 7 und 8 SGB IX vorgesehene Konsultationsverfahren sei durch eine unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats unterlaufen worden, reicht als Darlegung von Indizien für eine Benachteiligung aufgrund der Schwerbehinderung ebenso wenig, wie die Äußerung von nicht näher begründeten Zweifeln, ob der Betriebsrat zu der Frage, ob die Stelle mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden kann, angehört wurde (§ 164 Abs. 1 S. 6 SGB IX iVm. § 176 SGB IX). Aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberin sich hierzu im Prozess nicht erklärt, kann nicht geschlossen werden, dass die "ins Blaue hinein" erhobenen Mutmaßungen des Klägers zutreffend sind.
3. Aus dem Umstand, dass fünf Monate nach dem Zeitpunkt der erfolglosen Bewerbung nur eine geringe Anzahl von offenen Stellen der Arbeitgeberin auf der Online-Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht waren, während bundesweit über dreihundert offene Stellen ausgeschrieben waren, kann nicht geschlossen werden, dass die Stelle, auf die sich der Kläger fünf Monate zuvor beworben hat, nicht der Bundesagentur für Arbeit gemeldet war und die Arbeitgeberin daher gegen die Verpflichtung gem. § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX verstoßen hat.
Leitsatz (redaktionell)
Zwischen einer benachteiligenden Handlung und einem in § 1 AGG genannten Grund wie z.B. Behinderung muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Dazu ist nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche oder auch nur wesentliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist, vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund i.S.d. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt.
Normenkette
AGG §§ 15, 22, 1, 3; SGB IX 2018 § 164; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; SGB IX § 2 Abs. 2 S. 1, § 154 Abs. 1, § 176; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 02.09.2020; Aktenzeichen 28 Ca 142/20) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 2. September 2020 - 28 Ca 142/20 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Der Kläger hat ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert und wurde 1998 promoviert. Er ist seit 2019 arbeitssuchend. Er ist als schwerbehinderter Mensch iSd. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB IX anerkannt.
Die Beklagte ist ein Beratungsunternehmen mit mehreren Standorten in Deutschland.
Mit Schreiben vom 14. August 2019 bewarb sich der Kläger auf die von der Beklagten im Internet ausgeschriebene Stelle als Scrum Master Energy (m/w/d). Hinsichtlich der Einzelheiten der Ausschreibung und der dort genannten Anforderungen wird auf den gesamten Inhalt des Ausschreibungstextes (Bl. 10 - 12 d. A.) Bezug genommen. Im Bewerbungsschreiben teilte der Kläger unter anderem folgendes mit:
"Ich bin schwerbehindert, was aber für die Ausübung der ausgeschriebenen Position aus meiner Sicht kein Problem darstellt (...)."
Ergänzend wird auf den gesamten Inhalt des Bewerbungsschreibens nebst beigefügten Anlagen (Lebenslauf, Zeugnisse u.a.) Bezug genommen (Bl. 13 - 56 d. A.). Mit E-Mail vom 22. August 2019 (Bl. 57 d. A.) erteilte die Beklagte dem Kläger eine Absage.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2019 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG geltend. Hinsichtlich des Inhalts dieses Schreibens wird ergänzend auf Blatt 58 - 60 d. A. Bezug genommen.
Die Beklagte reagierte mit Schreiben vom 18. November 2019 (Bl. 61 - 62 d.A.). Sie verwies unter anderem darauf, der Kläger verfüge nicht über den geforderten Studienabschluss der Studiengänge (Wirtschafts-)Informatik bzw. (Wirtschafts-)Mathematik. Der Studienabschluss des Klägers sei nicht gleichwertig, da er ihn nicht in gleicher Sachlichkeit und Methodik qualifiziere. Die Beklagte machte ferner geltend, die geforderte praktische Berufserfahrung als Scrum Master in agilen IT-Projekten ergebe sich aus den Bewerbungsunterlagen nicht, ebenso wenig die verlangte Erfahrung in der Moderation und im Coaching von Teams oder die geforderten guten Kenntnisse von Software-Architekturen. Auch entspreche die vom Kläger angegebene Scrum Zertifizierung nicht den Anforderungen der Stellenausschr...