Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Verweisung auf den Gesetzestext im Tarifvertrag (deklaratorische Tarifnorm ohne eigenen Regelungswillen)
Leitsatz (amtlich)
Eine deklaratorische Tarifnorm ohne eigenen Regelungswillen ist bei einer schlichten Verweisung auf das Gesetz anzunehmen.
Deklaratorische Verweisungen sind dynamisch, so daß eine spätere (verschlechternde) Gesetzesänderung an die Stelle des geänderten Gesetzes tritt (hier: 80% statt 100% Krankenlohn, Ein diesbezüglicher Vorbehalt der TVParteien ist nicht erforderlich.)
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1; RTV f. d. Gerüstbaugewerbe § 4 Ziff. 7
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 12.02.1997; Aktenzeichen 13 Ca 584/96) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 12. Februar 1997 – 13 Ca 584/96 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger statt der gezahlten 80 % Lohnfortzahlung in Höhe von 100 % schuldet, insbesondere darüber, ob die einschlägige tarifrechtliche Regelung eine statische oder dynamische Verweisung enthält.
Der Kläger ist von Beruf Gerüstbauer. Er ist für die Beklagte, die sich mit Gerüstbau befaßt, seit 1989 als Obermonteur tätig. Auf das Arbeitsverhältnis sind kraft Tarifbindung die Tarifverträge für den Gerüstbau anwendbar.
Der Kläger war im Oktober 1996 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte rechnete die Lohnfortzahlung auf der Basis des damals maßgeblichen Stundenlohns von DM 25,63 nach § 4 Ziff. 7 RTV für das Gerüstbaugewerbe, der auf das EntgeltfortzahlungsG verweist, lediglich in Höhe von 80 % ab, d. s. DM 697,14 brutto. Ungekürzt hätte die Lohnfortzahlung DM 871,42 brutto betragen.
Die Tarifnorm hat in den Fassungen vom 27. Juli 1993 und vom 15. November 1995 folgenden Wortlaut:
Arbeitsversäumnis bei Arbeitsunfähigkeit:
Im Krankheitsfall gelten die Bestimmungen des Lohnfortzahlungsgesetzes/Entgeltfortzahlungsgesetzes
Mit seiner Klage macht der Kläger den Unterschiedsbetrag zwischen DM 697,14 brutto und DM 871,42 brutto geltend.
Er ist der Auffassung, die Tarifvertragsparteien hätten zum Zeitpunkt des ÄnderungsTV vom 15. November 1995 auf die damalige gesetzliche Regelung abgestellt. Eine andere Regelung hätten sie nicht im Auge haben können, so daß das EFZG in seiner alten Fassung anwendbar sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 174,28 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. November 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie legt die Verweisungsnorm im Sinne einer dynamischen deklaratorischen Bestimmung aus.
Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien im übrigen wird ergänzend auf den Akteninhalt verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 12. Februar 1997 die Klage abgewiesen. Es hat sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts berufen. Es sei durch Auslegung zu ermitteln, ob die Tarifvertragsparteien eine unabhängige eigenständige tarifliche Regelung hätten treffen wollen. Die wörtliche Übernahme einer gesetzlichen Vorschrift spreche für den deklaratorischen Charakter der Norm. Vorliegend hätten die Tarifvertragsparteien jedoch schlicht auf die gesetzliche Regelung verwiesen. Die Auffassung, die Verweisung sei hier nicht dynamisch, sondern statisch zu verstehen, so daß der damalige gesetzliche Zustand festgeschrieben worden sei, wird vom ArbG zurückgewiesen. Ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien habe in der auszulegenden Tarifnorm keinen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden. Das Erfordernis einer Jeweiligkeitsklausel für die Annahme einer dynamischen Verweisungsnorm wird vom ArbG abgelehnt. Das ArbG hat die Berufung zugelassen.
Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung den Klageanspruch vollen Umfangs weiter.
Auf die Berufungsbegründung wird Bezug genommen (Bl. 33–38 d. A.).
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 12. Februar 1997 – 13 Ca 584/96 – die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 174,28 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. November 1996 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Auf die Berufungsbeantwortung wird verwiesen (Bl. 65–66 d. A.).
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien einschließlich der von ihnen vertretenen Rechtsauffassungen und der von ihnen überreichten Anlagen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung das Klägers ist an sich statthaft und, weil sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, auch im übrigen zulässig, zumal das Arbeitsgericht die Berufung nach § 64 Abs. 2 ArbGG zugelassen hat.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Dem Klageanspruch fehlt die erforderliche Anspruchsgrundlage.
1. Nach § 4 Ziffer 7 RTV steht dem Kläger für Oktober 1996 nur Krankenlohn in Höhe von 80 % seines Bruttolohns zu. Der Tarifvertrag verweist in § 4 Ziff. 7 „im Krankheitsfall auf die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes”. Diese Verweisung auf...