Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit von Regelungen in einer Betriebsvereinbarung betreffend die Auswirkungen zukünftiger Tariferhöhungen des einschlägigen Branchentarifvertrags. Mitbestimmung des Betriebsrats bei betrieblichen Regelungen zu Weihnachts- und Urlaubsgeld. Rechtsfolgen der Teilunwirksamkeit eine Betriebsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Regelungen in einer Betriebsvereinbarung, wonach zukünftige Tariferhöhungen des einschlägigen Branchentarifvertrags zu einer entsprechenden Erhöhung des Garantiegehalts der Arbeitnehmer führen, verstoßen gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Auch wenn sich eine solche Zusage in der Präambel der Betriebsvereinbarung befindet, kann sie im Regelfall nicht als Gesamtzusage ausgelegt werden. Eine Umdeutung in eine Gesamtzusage kommt nicht Betracht, wenn es an besonderen Umständen fehlt, die die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung zu der zugesagten Leistung verpflichten wollen.
2. Betriebliche Regelungen zu Weihnachts- und Urlaubsgeld unterfallen dem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Abweichende Regelungen im einschlägigen Tarifvertrag stehen der Wirksamkeit von Betriebsvereinbarungsregelungen zu Weihnachts- und Urlaubsgeld nur so lange entgegen, wie der Arbeitgeber tarifgebunden ist (§ 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Tritt der Arbeitgeber aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband aus, entfalten die Betriebsvereinbarungsregelungen nach dem Ende der Nachbindung aus § 3 Abs. 3 TVG Wirkung.
3. Die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung hat nur dann die Unwirksamkeit auch ihrer übrigen Bestimmungen zur Folge, wenn diese ohne die unwirksamen Teile keine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung mehr darstellen (nach BAG 05.05.2015 - 1 AZR 435/13 - juris Rn 20).
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 10; TVG § 3 Abs. 3; BetrVG § 87 Abs. 1 S. 1; TVG § 4 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 30.06.2016; Aktenzeichen 12 Ca 15/16) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 30. Juni 2016 - Az. 12 Ca 15/16 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.644,24 brutto (Weihnachtsgeld 2015) zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2015.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.644,24 brutto (Urlaubsgeld 2016) zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz ab dem 1. Juni 2016.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat 82%, der Kläger hat 18% der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer monatlichen Entgelterhöhung seit August 2015 sowie des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2015 und des Urlaubsgeldes für das Jahr 2016.
Der Kläger steht seit März 2007 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 1. März 2007 zugrunde (Anlage A2, Bl. 11 ff. d.A.). Er ist als Lagerist in der Logistik tätig und bezog zuletzt ein regelmäßiges Bruttomonatseinkommen in Höhe von € 2.630,78. Dieses bestand aus einem Grundgehalt von € 2.521,70 und einer Zulage in Höhe von € 109,08 und wurde auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1997 gezahlt.
Diese Betriebsvereinbarung vom 1. August 1997 (im Folgenden: BV 97) beinhaltet unter anderem Regelungen zur Mindestgehaltshöhe, zur Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, zu den bei der Beklagten bestehenden Gehaltsgruppen und zur Zuordnung der Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer zu diesen Gehaltsgruppen.
Auszugsweise lautet die BV 97 wie folgt:
"Präambel:
Ziel der Konzeption einer Betriebsvereinbarung war die Schaffung eines Gehalts- und Arbeitszeitsystems, das für jeden Mitarbeiter nachvollziehbar, einsehbar und leistungsgerecht ist.
Ferner sollen die gesetzlichen Ladenschlußzeiten des Einzelhandel in gerechte Rahmenbedingungen gefügt werden.
Als Grundlage wurden größtenteils bestehende Vereinbarungen genommen. Der Tarif berücksichtigt die Mindestforderungen des Einzelhandelstarifes in Hamburg soweit nicht andere Vereinbarungen getroffen werden und diese einen individuellen Leistungsausgleich berücksichtigen (Arbeitsvertrag). Eine Überarbeitung findet mindestens zum Zeitpunkt gültiger Tarifverhandlung des Einzelhandels statt.
Die nachstehenden Paragraphen ergänzen die Regelungen des Arbeitsrechtes und gelten als Bestandteil des Arbeitsvertrages (Individualvereinbarung).
Jedem G. wird eine Ausfertigung der Vereinbarung bei Beginn des Arbeitsverhältnisses zusammen mit dem Arbeitsvertrag übergeben.
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Inhaltsverzeichnis
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§ 9 Urlaubs- und Weihnachtsgeld
G. zahlt für jedes Beschäftigungsjahr ein Urlaubsgeld in Höhe von 62,5 % des Gehaltes. Zahlungstermin ist spätestens der 31. Mai eines jeden Jahres. ...
G. zah...