Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorübergehende Verrichtung von Arbeit in einem anderen Staat i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ROM I-VO. Weitergeltung des Tarifvertrags bei vorübergehender Auslandsentsendung im Falle beiderseitiger Tarifgebundenheit. Anspruch auf tarifliche Bruttovergütung bei Auslandsentsendung. Günstigkeitsvergleich zwischen hypothetischem Steuerabzugsverfahren und Bruttogehaltszahlung nach Inlandsrecht. Konstitutive vertragliche Regelung als Regelfall arbeitsvertraglicher Vereinbarungen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer vertraglich auf zwei Jahre befristeten Entsendung in das europäische Ausland, bei der nach dem Ende des Entsendungszeitraumes die Tätigkeit bei der Arbeitgeberin in Deutschland wieder aufgenommen werden soll, handelt es sich um eine vorübergehende Verrichtung von Arbeit in einem anderen Staat im Sinne des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ROM I-VO.
2. Sind beide Seiten tarifgebunden, so gilt im Falle einer vorübergehenden Auslandsentsendung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ROM I-VO der Entgelttarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung (TV Entgelt) auch für die Dauer des Entsendungszeitraumes unmittelbar und zwingend. Dem steht der Umstand nicht entgegen, dass der räumliche Geltungsbereich des TV Entgelt auf im Einzelnen genannte Regionen in Norddeutschland beschränkt ist.
3. In Fällen zwingender Tarifbindung bei vorübergehender Auslandsentsendung hat der entsandte Arbeitnehmer auch während der Dauer der Entsendung Anspruch auf die tarifliche Bruttovergütung. Vereinbaren die Parteien im Entsendungsvertrag die Anwendung eines hypothetischen Steuerabzugsverfahrens, bei dem der Arbeitgeber im Entsendungszeitraum weiterhin einen Betrag in Höhe der bei einer Weiterarbeit in Deutschland anfallenden Lohnsteuer (= hypothetische Steuer) vom Gehalt in Abzug bringt und für den Arbeitnehmer die tatsächlich im Entsendungsland anfallende (höhere oder niedrigere) Steuer zahlt, stellt dies eine Abweichung vom TV Entgelt dar. Das nach dem TV Entgelt geschuldete Bruttogehalt sieht nur den Abzug tatsächlich angefallener Steuern und Sozialabgaben vor. Die vertragliche Vereinbarung des hypothetischen Steuerabzugsverfahren ist jedenfalls dann gern. § 4 Abs. 3 TVG unzulässig und daher unwirksam, wenn sie nicht günstiger als die Regelung des Bruttogehalts nach dem TV Entgelt ist.
4. In den Günstigkeitsvergleich ist der Umstand, dass der Arbeitgeber die im Entsendungsland anfallende Steuer für den Arbeitnehmer Übernimmt, einzubeziehen. Weitere dem Arbeitnehmer zustehende entsendungsbedingte Sonderzahlungen (wie z. B. Mietzuschuss, Kaufkraftausgleichszahlungen, Umzugs- und Einrichtungspauschalen u.a.), die dem Ausgleich von finanziellem Mehraufwand aufgrund der Auslandsentsendung dienen, sind im Wege des Sachgruppenvergleichs nicht einzubeziehen. Dies gilt auch für eine sog. Mobilitätszulage, die nicht der Vergütung der Arbeitsleistung als solcher dient, sondern ebenfalls an die Erbringung der Arbeitsleistung gerade im Ausland anknüpft und insoweit die Erschwernisse ausgleichen soll.
Leitsatz (redaktionell)
Bei einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ist grundsätzlich von übereinstimmenden Willenserklärungen auszugehen. Die ausdrückliche Nennung gewollter Rechtsfolgen in einem privatautonomen Vertrag ist grundsätzlich als konstitutive Vereinbarung anzusehen. Wenn die Parteien eines Rechtsverhältnisses in einer mit "Vertrag" bezeichneten Urkunde gemeinsam aufschreiben, dass für das Rechtsverhältnis dieses und jenes gilt, dann handelt es sich nicht um einen Akt bloßer Erkenntnis (deklaratorische Erklärung), sondern um einen Akt der Bestätigung rechtsgeschäftlichen Willens (konstitutiver Willensakt).
Normenkette
BGB §§ 611, 611a, 387; TVG § 4 Abs. 1, 3; EGV 593/2008 (Rom I-VO) v. 17.06.2008 Art. 3 Abs. 1, Art. 8 Abs. 2 S. 2; BGB § 307 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 24.04.2021; Aktenzeichen 24 Ca 28/21) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. April 2021 - 24 Ca 28/21 - wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. April 2021 - 24 Ca 28/21 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 18% und die Beklagte zu 82% zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zu gelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Auszahlung hypothetisch von der Beklagten ermittelten Lohnsteuer, die diese von dem Gehalt des Klägers einbehalten hat.
Der Kläger ist seit dem 01. September 2002 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern als Ausstattungselektriker beschäftigt. Der Kläger erhält eine Vergütung nach dem Entgelttarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung (TV Entgelt), Entgeltgruppe 07H.
Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes Nordmetall, der den Manteltarifvertrag und den Entgelttarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung, abges...