Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Rückwirkung des Urteils auf Entbindung von der Pflicht zur Weiterbeschäftigung. Weiterbeschäftigungspflicht. Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht. keine Rückwirkung des Gestaltungsurteils
Leitsatz (amtlich)
Das Urteil einer Landesarbeitsgerichts, mit dem der Arbeitgeber von der Pflicht zur Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 Seite 2 BetrVG entbunden wird, wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Urteils des Arbeitsgerichts zurück, mit dem der Antrag auf Entbindung zurückgewiesen worden ist.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 5; BGB § 615
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 27.01.1994; Aktenzeichen 14 Ca 374/93) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. Januar 1994 – 14 Ca 374/93 – werden zurückgewiesen.
Von den Kosten der Berufungen hat der Kläger 1/40 und die Beklagte 39/40 zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im wesentlichen darüber, ob eine Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG durch das Landesarbeitsgericht mit der Verkündung des Urteils wirkt – so der Kläger – oder schon rückwirkend mit dem Tag der Verkündung des Urteils des Arbeitsgerichts, das den Antrag auf Entbindung zurückwies – so die Beklagte –.
Der 53-jährige Kläger war seit Januar 1971 bei der Beklagten tätig, zuletzt als Fachkraft Satz. Einer beabsichtigten Kündigung der Beklagten widersprach der Betriebsrat mit Schreiben vom 22. Juni 1992. Mit Schreiben vom 23. Juni 1992 kündigte die Beklagte dem Kläger zum 31. Dezember 1992. Wegen dieser Kündigung ist zwischen den Parteien ein Kündigungsschutzverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg –1 Sa 49/94 – anhängig.
Der Kläger verlangte von der Beklagten seine Weiterbeschäftigung. Durch Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Januar 1993-14 Ga 21/92-wurde die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, den Kläger weiterzubeschäftigen, und der Antrag der Beklagten auf Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht zurückgewiesen. In diesem Verfahren ist das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom Landesarbeitsgericht Hamburg durch Urteil vom 9. November 1993–1 Sa 29/93 –, dem Kläger zugestellt am 16. November 1993, abgeändert worden, der Antrag des Klägers auf Verurteilung zur Weiterbeschäftigung zurückgewiesen und die Beklagte von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung entbunden worden.
Die Beklagte hat den Kläger tatsächlich ab Januar 1993 nicht beschäftigt. Sie zahlte dem Kläger unter dem Vorbehalt der Rückforderung für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis zum 31. März 1993 monatlich DM 5.772,70 brutto, ab dem 1. April 1993 bis zum 31. Oktober 1993 monatlich DM 5.927,79 brutto. Es handelt sich hierbei um das vereinbarte Grundgehalt, Schichtzuschläge, vermögenswirksame Leistungen und Kontoführungsgebühren.
Der Kläger war der Ansicht, für den Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils des Landesarbeitsgerichts Hamburg Anspruch auf ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von DM 5.918,64 zu haben. Er errechnete dieses Monatseinkommen aus dem um Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Gewinnbeteiligung bereinigten Jahreseinkommen 1992.
Der Kläger verlangte für die Monate Januar bis Oktober 1993 die Nachzahlung einer Differenz in Höhe von monatlich DM 145,94 und für den Zeitraum vom 1. November bis zum 16. November 1993 DM 3.239,32 brutto abzüglich des ab 10. November 1993 erhaltenen Arbeitslosengeldes.
Die Beklagte verlangte im Wege der Widerklage Rückzahlung der für die Zeit vom 15. Januar 1993 bis zum 31. Oktober 1993 an den Kläger gezahlten Vergütung.
Der Kläger hat geltend gemacht:
Da die Weiterbeschäftigungspflicht nach § 102 Abs. 5 BetrVG zu unveränderten Bedingungen bestanden habe, könne der Kläger mindestens die Vergütung verlangen, die er bei unveränderter Tätigkeit hätte erzielen können. Insofern sei davon auszugehen, daß der Kläger mindestens den Durchschnitt des Jahres 1992 hätte verdienen können. Die zusätzlichen Überstunden, Feiertags- und Sonntagsarbeit seien regelmäßig angefallen. Diese unveränderten Bedingungen, zu denen er gearbeitet hätte, seien dadurch gekennzeichnet gewesen, daß im Betrieb der Beklagten zwangsläufig wegen der Erscheinungstermine der Zeitungen und Zeitschriften Überstunden, Feiertags- und Sonntagsarbeit angefallen seien.
Die Beklagte habe keinen Rückzahlungsanspruch. Bei einem Urteil, das einem Entbindungsantrag des Arbeitgebers stattgebe, handele es sich um ein Gestaltungsurteil, dessen Wirkung erst mit der Verkündung und Zustellung eintrete. Das gelte auch, wenn die Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht erst durch das Landesarbeitsgericht vorgenommen werde wie im vorliegenden Fall. Wäre die Auffassung der Beklagten zutreffend, geriete der Kläger in eine existentiell bedrohliche Situation, da er rückwirkend kein Arbeitslosengeld erhalten könne.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kl...