Entscheidungsstichwort (Thema)
Individualvertraglicher Verzicht auf Versorgungsansprüche aus einer Gesamtbetriebsvereinbarung mit Anpassungsvorbehalt. Zahlungsklage auf wiederkehrende Leistungen bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zu den finanziellen Gründen ihrer Anpassungsentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein individualvertraglicher Verzicht auf Ansprüche aus einer (Gesamt-) Betriebsvereinbarung führt nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG iVm. § 134 BGB nur dann zur Unwirksamkeit einer Individualvereinbarung, wenn diese Vereinbarung nicht zugunsten des Arbeitnehmers wirkt. Vorzunehmen ist ein Sachgruppenvergleich, bei dem die in einem inneren Zusammenhang stehenden Teilkomplexe der Regelungen miteinander zu vergleichen sind.
2. Stellt eine individualvertragliche Vereinbarung einen Arbeitnehmer in Bezug auf seine Betriebsrente insgesamt besser als er bei Anwendung der Regelungen einer Gesamtbetriebsvereinbarung zum betrieblichen Versorgungswerk stehen würde, ist die individualvertragliche Vereinbarung auch insoweit wirksam, wie auf Rechte aus der Gesamtbetriebsvereinbarung zum betrieblichen Versorgungswerk verzichtet wird.
3. Nimmt die individualvertragliche Vereinbarung für die zukünftigen Anpassungen der Betriebsrente Regelungen aus der Gesamtbetriebsvereinbarung zum betrieblichen Versorgungswerk in Bezug, die u.a. vorsehen, dass der Vorstand von einer für den Regelfall vorgesehenen Erhöhung der Betriebsrente entsprechend der Steigerung der gesetzlichen Altersrente absehen kann, wenn er eine solche Steigerung für nicht vertretbar hält, kann der Arbeitgeber diesen Vorbehalt nur in Anspruch nehmen, wenn auf das Unternehmen bezogene wirtschaftliche Gründe der Bereitstellung der finanziellen Mittel für die regelhaft vorgesehene Betriebsrentenerhöhung entgegenstehen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; BetrVG § 77 Abs. 4; BetrAVG § 16; BetrVG § 77 Abs. 4 S. 2; BGB §§ 134, 611a; ZPO § 258
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 29.03.2017; Aktenzeichen 17 Ca 514/16) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 29. März 2017 - Az. 17 Ca 514/16 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin beginnend mit dem 1. Juli 2017 über den Betrag von € 1.436,84 brutto hinaus jeweils zum Ersten eines Monats einen Betrag in Höhe von € 49,12 brutto zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 720,84 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von € 11,87 seit dem 2. Juli 2015, auf € 11,87 seit dem 2. August 2015, auf € 11,87 seit dem 2. September 2015, auf € 11,87 seit dem 2. Oktober 2015, auf € 11,87 seit dem 2. November 2015, auf € 11,87 seit dem 2. Dezember 2015, auf € 11,87 seit dem 2. Januar 2016, auf € 11,87 seit dem 2. Februar 2016, auf € 11,87 seit dem 2. März 2016, auf € 11,87 seit dem 2. April 2016, auf € 11,87 seit dem 2. Mai 2016, auf € 11,87 seit dem 2. Juni 2016, auf 48,20 € seit dem 2. Juli 2016, auf 48,20 € seit dem 2. August 2016, auf 48,20 € seit dem 2. September 2016, auf 48,20 € seit dem 2. Oktober 2016, auf 48,20 € seit dem 2. November 2016, auf 48,20 € seit dem 2. Dezember 2016, auf 48,20 € seit dem 2. Januar 2017, auf 48,20 € seit dem 2. Februar 2017, auf 48,20 € seit dem 2. März 2017, auf 48,20 € seit dem 2. April 2017, auf 48,20 € seit dem 2. Mai 2017 und auf 48,20 € seit dem 2. Juni 2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung und die weitergehende Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
Die Klägerin hat 36 %, die Beklagte hat 64 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nur für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die klagende Partei verlangt eine höhere Anpassung ihrer betrieblichen Altersversorgung für die Jahre 2015, 2016 und 2017.
Die klagende Partei war bei einem Unternehmen des B.-Konzerns tätig, dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Das Arbeitsverhältnis begann vor dem 31. März 1985. Die Beklagte ist als Versicherungsunternehmen in den deutschen A.-Konzern eingebunden.
Die B. errichtete in den 60ger Jahren des letzten Jahrhunderts eine betriebliche Altersversorgung, die als "Betriebliches Versorgungswerk" (kurz: BVW) bezeichnet wird. Grundsätzlich haben alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten bis zum 31. März 1985 begonnen hat, Ansprüche auf Leistungen aus dem BVW.
Unter dem 8. Juli 1987 schlossen der Gesamtbetriebsrat und die B. D. L. AG die Betriebsvereinbarung "Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes". Diese Betriebsvereinbarung, für deren Inhalt im Einzelnen auf die Anlage K 1, Bl. 19 ff. d.A verwiesen wird, gliedert sich in Grundbestimmungen, Ausführungsbestimmungen und Übergangsbestimmungen.
Nach der Betriebsvereinbarung sind den anspruchsberechtigten Betriebsangehörigen "Gesa...